Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Woher und von wem stammten sie? Ich ahnte, dass sie aus Deutschland gesendet wurden, aber was hatten sie zu bedeuten? Es hatte sich so bedrohlich, so gefährlich angefühlt. Unwillkürlich musste ich an Delphine denken. Ich war erstaunt; was hatten meine Lieblingstiere mit diesen bösen und wirren Gedanken zu tun? Plötzlich wusste ich es!
Mein Freund, der Koloss war in meiner Wohnung gewesen! Er war in meine Welt eingebrochen, hatte meine Sachen angefasst, hatte meine Delphinposter betrachtet.
Wie hatte er mich nur finden können? War er nicht nur unmenschlich kräftig, verfügte er zudem auch noch über übermenschliche Fähigkeiten? Ähnlich wie ich? Warum nicht? Wenn ich einfach so die Gedanken anderer Menschen lesen konnte, warum sollte er dann nicht die Möglichkeit besitzen, fremde Menschen zu finden? Doch halt! Er hatte nicht mich gefunden! Ich war weit weg von meiner Heimat, physisch wie gedanklich. Aber er hatte meine Wohnung gefunden, kein Zweifel! Ich
ahnte
es nicht, ich
wusste
es!
Was wollte er nur von mir? Warum denn ausgerechnet ich? Ich war ein wehrloser Krüppel, konnte nicht ohne fremde Hilfe einen Schuh anziehen. Warum war er hinter mir her? Warum fürchtete er mich so sehr, dass ihn erst mein Tod beruhigen würde? Ja, er hatte Angst vor mir. Dies hatte ich bei unserem Zusammentreffen, neben meiner eigenen Todesangst, deutlich gefühlt.
Nachdem ich eben diese kranken Gedankenfetzen von Ratten, Blut und Sünde erhalten hatte, war ich heilfroh, so weit von ihm entfernt zu sein.
Aber plötzlich schossen mir andere Gedanken durch den Kopf.
„Nicht schon wieder!“, dachte ich verzweifelt, bevor ich begriff, dass es meine
eigenen
waren.
[„Blumen, Schlüssel, Mutter“]
Ich hatte meiner Mutter vor meiner Abreise die Schlüssel zu meiner Wohnung gegeben, und sie gebeten, sich um die paar Blumen zu kümmern, die meinen Versuchen standgehalten hatten, sie zu pflegen.
Sie war in Gefahr! Wenn sie dem Biest begegnete, würde sie keine drei Sekunden überleben. Sobald sie die Wohnung betrat, machte sie mich zum Halbwaisen! Ich musste sie unbedingt warnen! Sofort!
Warum hatten Manfred und ich nur unsere beschissenen Handys nicht mitgenommen? Ich durfte keine Sekunde Zeit verlieren.
„Manfred!“, brüllte ich so laut es meine Schwimmerlunge vermochte.
Erstaunlicherweise stürmte zuerst Gertrud in ihr Schlafzimmer, das sie so bereitwillig geräumt hatte.
„Robert! Was ist denn los?“, rief sie nicht weniger laut.
Meine Panik schien ansteckend zu sein. Sofort bereute ich meinen Ausbruch. Das erste Mal wünschte ich mir, meine Mitmenschen würden, aufgrund meiner Behinderung, Nachsicht mit meinem skurrilen Verhalten walten lassen.
„Bitte, verzeiht mir“, sagte ich den Dreien, die sich jetzt vor dem Bett aufgebaut hatten.
„Ich muss dringend meine Eltern erreichen! Bitte lasst mich mit meinen Eltern telefonieren. Es ist dringend!“
Manfred sah mich mit fragenden Augen an.
„Ich weiß, es klingt verrückt. Aber stellt keine Fragen, und bringt mich zum Telefon. Schnell!“
Irgendetwas in meinen Augen ließ sie nicht lange zögern. Ohne weitere Fragen zu stellen, verfrachteten sie mich gemeinsam in den Rollstuhl. Rolf schob mich rasch in sein Zimmer, wo das einzige Telefon im Umkreis von fünf Meilen installiert war. Abwartend standen sie hinter mir.
„Bitte, lasst mich alleine. Ich werde es euch später erklären.“
Wortlos zogen sie ab. In der Theaterwelt hätte man das einen stummen Abgang genannt.
Zitternd nahm ich den Telefonhörer in die Hand. Ich wollte gerade den Finger in die altmodische Wählscheibe stecken, als ich schon wieder einen Brüll losließ.
„Verdammt noch mal! Wie ist denn die beschissene Vorwahl von diesem beschissenem Deutschland?!“
„1649!“, kam die dreifache Antwort.
Sie blieben erstaunlich gelassen, bedachte man, wie ich mich gerade aufführte!
Mein Finger zitterte, erst bei dem vierten Versuch und nach einem zwischenzeitigen Durchatmen, gelang es mir, die komplette Nummer zu wählen. Ein leises Tuten erklang. Hoffentlich waren meine Eltern zu Hause. Der Irre würde garantiert in meiner Wohnung auf mich warten. Er hatte noch etwas mit mir zu erledigen. Und ich wollte gar nicht so genau wissen, was es war. Nicht auszudenken, wenn er meine Mutter in seine Pranken bekommen würde!
Ein affektiertes “Ja, bitte?“, erlöste mich.
„Mutter? Hier ist Robert! Sag, wie geht es dir? Alles in Ordnung?“
„Oh, Robby!“
So hatte sie mich seit
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