Gnadenlose Gedanken (German Edition)
er war halt sehr vorsichtig, und fühlte sich für meine Sicherheit verantwortlich. Ich bestand aber darauf, den Zottelschweden einsteigen zu lassen, schließlich wollte ich so viele Leute wie möglich kennenlernen. Er erwies sich dann auch als sehr harmlos und freundlich. Er war uns sehr dankbar, dass wir ihn aus dem Regen gefischt hatten, der über eine Stunde auf ihn niedergegangen war. Er war auf dem Weg nach Killarney, und mit unserer Hilfe hoffte er, es bis zum Nachmittag zu schaffen.
Wir erzählten ihm von unserem Ziel, und sofort empfahl er uns ein Hostel in Baltimore, das von einem deutschen Ehepaar geführt wurde. Eigentlich war ich von dieser Idee wenig begeistert, schließlich war ich nicht nach Irland gefahren, um dort Sauerkraut zu essen. Aber Manfred und Ole überredeten mich, und gegen Mittag erreichten wir „Rolfs Hostel“, nachdem wir einen winkenden Ole auf der Strasse nach Skibbereen zurückgelassen hatten.
Gertrud und Rolf bereiteten uns einen warmen Empfang. Ohne große Worte zu machen, räumten sie für uns ihr Schlafzimmer, weil es das einzige Zimmer war, das im Erdgeschoß dieser kleinen Jugendherberge lag. Ohne Bedingungen zu stellen, packten sie eine handvoll persönlicher Sachen zusammen, und zogen in die erste Etage der umgebauten Scheune, die schon so vielen Gästen die Möglichkeit geboten hatte, sich von einer anstrengenden Reise per Daumen, Fahrrad oder Auto zu erholen.
Sauerkraut war natürlich kein Thema und ich schämte mich für dieses dämliche Vorurteil.
Als wir abends mit einem Glas Whiskey vor dem Hostel zusammensaßen, gestand ich Gertrud, was mir durch den Kopf gegangen war, als uns Ole von den Deutschen, die da unten in Baltimore ein Hostel betrieben, erzählt hatte. Gertrud lächelte nur, und gestand mir ihrerseits, dass sie hin und wieder Spätzle kochte, die ein alter Freund aus Stuttgart einmal im Jahr mitbrachte. Ihre beiden Kinder bestanden darauf, und Rolf und sie kamen diesem Wunsch gerne nach. Außer einem schwäbischeingefärbten Englisch erinnerte aber nichts daran, dass diese Leute vor vielen Jahren nach Irland ausgewandert waren, um mitten in der Natur ein schöneres Leben zu beginnen. Rolf hatte viel Schweiß und Liebe in den Umbau der Scheune und dem Renovieren des Cottages investiert. Gertrud hatte hinter dem kleinen Haus einen großen Gemüsegarten angelegt, der sie mit dem wichtigsten Grünzeug versorgte. Sie fühlten sich sehr wohl auf der Insel, und vermissten ihr Leben als deutsches Lehrerehepaar in keiner Sekunde.
Wenn ich in ihren Gedanken las, dann stand da selten etwas von Kummer oder Sorgen. Manchmal schien das Geld ein wenig knapp zu sein, aber meistens waren sie einfach nur glücklich, sich ihren Traum erfüllt zu haben. Die Kinder waren fröhlich und aufgeweckt, gesund und intelligent. Warum hätten sie Deutschland vermissen sollen?
An diesem Abend war Deutschland ganz weit weg. Es lag mehr zwischen diesem Land und mir, als ein Meer und etliche Meilen grünes Land. Es standen Menschen dazwischen, die Gott um einiges näher waren, als dieser Pfaffe Hofgang es mit seinen Gebeten jemals sein würde. Durch dieses Land, das so viele Katastrophen und Ungerechtigkeiten erlitten hatten, zog sich eine Mentalität, die ich immer wieder bei seinen Einwohnern feststellte. Was immer dir auch zustößt, es hätte schlimmer kommen können. Wenn die Oma starb, es hätte ja auch noch den Opa treffen können. Danken wir Gott, dass er uns noch ein paar Jahre erhalten bleibt.
Iren scherten sich nicht besonders um Statistiken. Aber Rolf erzählte uns eine Tatsache, die ich sehr bezeichnend fand. In Irland gab es die wenigsten Selbstmorde Europas und die höchste Alkoholikerrate. Nicht wenige Iren sahen darin einen Zusammenhang, den sie durch ihre täglichen Pints unterstrichen.
Darauf stießen Gertrud, Rolf, Manfred und ich an.
11
Der Pfarrer durchstöberte die Schubladen meines Schreibtisches. Nur widerwillig war er dem Wunsch meiner Mutter nachgekommen, sich um meine Blumen und um meine Post zu kümmern. Erst eine leise Andeutung meiner Mutter, dass sie nicht
jedes
Geheimnis für sich behalten könne, ließ ihn dann doch nachgeben.
Er wollte sich wenigstens dadurch entschädigen, dass er in meinen persönlichen Sachen wühlte. Natürlich konnte er mich nicht leiden, da hätte er nur zu gerne etwas gefunden, was mich in Schwierigkeiten hätte bringen können. Keine Ahnung, was er suchte, was er zu finden hoffte. Wahrscheinlich war er sehr
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