Gnadenlose Gedanken (German Edition)
an.
„Klar!“, sagte ich fröhlich.
„Lass uns mit einem ordentlichen Kater und tausend Melodien in den Ohren, die Heimreise antreten. Das ist das Mindeste, was wir uns verdient haben.“
Der Geheimtipp Doolin war so geheim, dass wir erst nach einigem Nachfragen, und mehrmaligen Auf- und Zufalten der Straßenkarte, das Dorf erreichten. Es schien tatsächlich mehr Pubs als Cottages zu geben, und die paar Häuser, die dort standen, schienen ausschließlich bed and breakfast anzubieten. Trotzdem dauerte es einige Zeit, bis wir eine freie Unterkunft gefunden hatten. Jetzt verstand ich, was es bedeutete, dass Doolin in jedem Reiseführer als Geheimtipp genannt wurde. Doch am Ortsrand fanden wir dann doch noch zwei freie Betten bei einer alten Dame, die nicht nur einen herrlichen Dialekt sprach, sondern zudem auch noch heftig stotterte. Zum ersten Mal bereute ich es, dass ich Englisch nach der zehnten Klasse abgewählt hatte. Obwohl ich bezweifelte, dass mir das Schulenglisch weitergeholfen hätte. Sogar Manfred hatte mit der alten Dame so seine Schwierigkeiten, und er konnte so gut englisch, dass ihn die Iren schon mehrmals für einen Waliser gehalten hatten. Aber irgendwie gelang es uns dann doch, uns mit ihr zu verständigen. Sie gab uns einen kleinen, gemütlichen Raum, aus dem sie mit Manfreds Hilfe eine kleine Kommode entfernte, um Platz für den Rollstuhl zu schaffen. Es war sehr mühsam, denn die Kommode war vollgestopft mit Krempel und Klamotten. Es wäre viel einfacher gewesen, die kleine Anrichte hinauszutragen, die am Fußende des Bettes stand. Doch die Alte bestand darauf, sie stehen zu lassen, da sie dort einen kleinen Altar mit unzähligen Marienfiguren und Jesusbildern eingerichtet hatte. Das ganze Szenario wurde beleuchtet von zwei rosafarbenen Glühbirnen, die dem Ganzen eine ganz besondere Note gaben.
Wir schlugen ihr vor, doch lieber die Anrichte zu entfernen, das ginge doch schneller und müheloser. Wild gestikulierend und stotternd, gab sie uns zu verstehen, dass wir doch unmöglich ohne Gottes Schutz die Nacht verbringen könnten! Um sie nicht noch mehr aufzuregen, widersprachen wir nicht länger, und entschuldigten uns tausendmal für die Mühe, die wir ihr machten. Sie stotterte irgendetwas Unverständliches und verschwand in die Küche, um uns einen Willkommenstee zu brauen.
Drei Tassen Tee und circa zehn Kilo Kekse später, versuchte Manfred mich in dem engen Badezimmer der Alten zu duschen. Mittlerweile hatten wir schon Übung und irgendwie gelang es uns, mich zu duschen ohne größere Schäden am Inventar anzurichten. Er schob mich zurück in das Zimmer und ging sich ebenfalls frischmachen. Da er ziemlich viel Körper zu waschen hatte, richtete ich mich auf eine halbe Stunde Ruhe ein. Ich wollte mir eine Taktik überlegen, wie ich nach unserer Ankunft in Deutschland vorgehen sollte.
Da klopfte es an der Tür und die Alte steckte ihr faltiges Gesicht ins Zimmer. Sie bat mich eintreten zu dürfen, und bevor ich antworten konnte, saß sie auch schon auf dem Bett.
Ohne lange Vorreden, was ich aufgrund ihres Sprachfehlers dankend zur Kenntnis nahm, kam sie direkt zum Thema. Ich musste mich stark konzentrieren, um sie verstehen zu können.
„Ich weiß, dass du dir große Sorgen um etwas machst. Was ist es? Wovor fürchtest du dich so? Ist es der große Mann?“
Sie kam wirklich sofort zum Thema!
„Ja, ich weiß von ihm! In deiner Heimat wartet ein großer Mann auf dich. Er ist sehr groß und er ist kräftig. Und du glaubst, er will dich töten, nicht wahr? Hör auf mich! Er ist krank im Kopf und er
wird
dich töten! Du hast keine Chance gegen ihn. Er will und er wird dich vernichten. Er ist ein krankes Tier. Ein verletzter Tiger und sehr gefährlich. Er ist verrückt, denn er hat Blut geschmeckt. Er will dich! Er wird erst dann Ruhe geben, wenn er dich erlegt hat. Denn er fürchtet sich vor dir. Er hat Todesangst vor dir! Was hast du, was ihm soviel Angst machen kann?“
Ich war sprachlos! Woher wusste sie von dem Koloss? In was für einen beschissenen Albtraum befand ich mich eigentlich?
[Ich weiß von deiner Fähigkeit, fremde Gedanken lesen zu können], dachte sie in dialekt- und stotterfreiem Deutsch.
Ich konnte sie sehr gut verstehen. Ich verstand jedes Wort, deutlich und klar. Kein Stechen hinter dem Ohr, keine Vorwarnung. Plötzlich waren sie wieder da. Fremde Gedanken. Kein Zweifel, die Alte konnte meine Gedanken genauso klar lesen, wie ich ihre! Ich war nicht der
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