Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Schließlich war ich doch auch derjenige, der schon halbtot war. Ich funktionierte doch nur noch eingeschränkt. Ich lebte nur noch auf Bewährung. Eigentlich hätte ich nach diesem idiotischen Sprung schon sterben müssen. Na gut, danach hatte ich noch ein Weilchen mit meinem Rolli durch die Gegend eiern dürfen, aber nun war eben Schluss.
Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause, und es hinter mich bringen. Vielleicht würde ich ja auch zur Polizei gehen? Für solche Fälle waren sie doch schließlich zuständig. Sie würden mir natürlich nicht glauben, aber bei ihnen vorbeisehen könnte ich doch trotzdem einmal. Konnte ja nichts schaden.
Manfred verstand mich nicht. Ich hatte ihm den wahren Grund meines plötzlichen Heimwehs natürlich verschwiegen. Ich hatte ihm etwas von „schlechtem irischen Wetter und miesem Essen“ erzählt, und dass unser Urlaub wohl, im wahrsten Sinne des Wortes, ins Wasser gefallen sei. Das stimmte natürlich nicht. Klar waren die Iren keine Meisterköche, vom Bierbrauen verstanden sie sicher mehr. Natürlich schien in Irland nicht immer nur die Sonne. Aber das hatten wir schon vorher gewusst und uns darauf eingestellt. Doch was hätte ich Manfred denn sagen sollen? Dass ich die Gedanken anderer Menschen lesen konnte, und dass einer dieser Menschen ein 2 Meter 30 großer Koloss war, der den großen Wunsch hatte, mich zu töten? Ich hatte keine große Lust, den Unterschied zwischen deutschen und irischen Irrenhäusern kennenzulernen. Die Klapsmühle meiner Oma hatte mir schon gereicht, da wollte ich nicht auch noch die der Paddys von innen sehen. Eigentlich noch nicht einmal von außen…
Also hatte ich Manni irgendeinen Mist erzählt, den er schließlich auch schlucken musste. Ob er wollte oder nicht. Er konnte mich lediglich noch dazu überreden, vor unserer endgültigen Abreise wenigstens noch einmal zu den Cliffs of Moher zu fahren. Das hatte ich ihm dann doch noch versprechen müssen. Und irgendwie war ich auch froh darüber gewesen.
Die Anreise zu den Cliffs hatte sich etwas schwierig gestaltet. Manfred wollte natürlich wieder die Küstenroute nehmen, ich bestand aber auf die schnellere Variante durch das Landesinnere. Ich führte mich auf wie ein Arbeiter, der verschlafen hatte, und nun noch rechtzeitig zum Schichtbeginn die Fabrik erreichen wollte. Manfred wollte andauernd Halt machen, um die verschiedenen Sehenswürdigkeiten zu bewundern. Ich wollte so schnell wie möglich weiterkommen. Wir fanden eine Kompromiss und hielten in Limerick an. Dort war es aber weniger lustig als es der Name vielleicht vermuten ließ, also fuhren wir nach einem kurzen Mittagessen weiter. Manfreds Laune war auf dem Nullpunkt. Er starrte auf die Strasse und sprach kein Wort mit mir. Wie gerne hätte ich ihm erklärt, warum ich mich so dämlich verhielt! Doch wie hätte ich es ihm sagen sollen, er hätte mir doch nie im Leben geglaubt! Ich konnte seinen Ärger gut verstehen. Wir fuhren durch viele interessante Orte, passierten die herrlichsten Plätze, ohne auch nur einmal anzuhalten.
Stumm wie ein altes Ehepaar, das die Notwendigkeit einer Unterhaltung nicht mehr einsah, fuhren wir weiter.
Ich versuchte noch einmal, ihm meine Gründe zu erklären, aber meine Argumente waren zu dünn, und er sah mich nur mit einem ironischen Grinsen an. Als wir Ennis erreichten, unterbrach er dann doch unser Schweigen.
„Ich nehme an, du willst heute noch die Fähre erreichen, damit du morgen Mittag zurück bist?“, fragte er ohne Ironie.
Mittlerweile traute er mir alles zu.
„Nein, natürlich nicht!“, erwiderte ich ruhig, fast schon besänftigend.
„Ich würde sagen, wir suchen uns in der Nähe der Cliffs eine Unterkunft, und sehen sie uns morgen Früh in aller Ruhe an.“
Etwas leiser fügte ich hinzu:
„Ich denke, das bin ich dir schuldig!“
„Wie du meinst. Ich habe in den Büchern von einem kleinen Dorf namens Doolin gelesen, ganz in der Nähe der Cliffs. Es wurde immer wieder als Geheimtipp genannt. So oft, dass wahrscheinlich jeder Irlandtourist dorthin fährt. Aber es muss wirklich sehr nett dort sein. Drei Häuser und zwanzig Pubs, so ungefähr. Es ist wohl ein Treffpunkt für alle Folkmusiker Irlands, die in den Kneipen spontane Gigs spielen. Immerhin sind wir doch auch wegen der Musik hierher gekommen, oder? Vielleicht finden wir ja doch noch einen positiven Abschluss für unseren verkorksten Trip?“
Er schien nun etwas versöhnlicher zu sein, und ich lächelte ihn dankbar
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