Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Skrupellosigkeit verübt wurde, im extremen Maße pervers, und für unsere Rasse absolut atypisch. Aber Laschek behielt seine Gedanken für sich. Selbst wenn er diesen schleimigen Wurm von einem Schreiberling hätte überzeugen können,
geschrieben
hätte der es trotzdem nicht! Denn das war es nicht, was die Käufer seiner Zeitung lesen wollten. Sie wollten von Blut lesen, von Schmerzen. Sie wollten wissen, wie es ist, wenn man jemanden umbrachte. Sie wollten die kranken Gedanken eines Mörders präsentiert bekommen, die ihren eigenen Gedanken vielleicht ähnlicher waren, als sie es sich selber eingestehen wollten.
Deshalb blieb Laschek stumm. Er wollte an diesem miesen Spiel nicht teilnehmen. Nach ungefähr dreißigmal „kein Kommentar!“ ließen sie ihn dann endlich in Ruhe, und er konnte sich endlich der Frage widmen, welche Richtung er einschlagen musste, um zu seiner Currywurst zu kommen. Er erinnerte sich, (Laschek erinnerte sich
immer
, wo er gut gegessen hatte!), und er ging mit großen Schritten los. Dabei hielt er seinen stämmigen Körper vornüber gebeugt, so, als müsste er gegen einen starken Sturm angehen. Doch es wehte kein Lüftchen. Das war einfach Lascheks Art, an den Futternapf zu stampfen.
Jesus musste keine großen Schritte machen, um der dicken Polizeiratte zu folgen. Bei seiner Körpergröße reichten kleine Trippelschritte bereits aus, um die Geschwindigkeit eines Mannes zu erreichen, der nur von durchschnittlicher Körpergröße war. Er musste nur vorsichtig sein. Der Dicke sollte
noch
nicht merken, dass er ihn verfolgte. Es sollte ja schließlich eine Überraschung werden!
Inzwischen hatte Manfred mir auch eine Überraschung bereitet. Er hatte auf meine Ohrfeige mit einer noch heftigeren geantwortet. Was dabei das Erstaunliche war: er hatte ein paar Sekunden gewartet.
Gewartet
, nicht gezögert! Aber dann hatte er mir mit aller Wut und Kraft eine geklebt, so dass ich nun wirklich einen Grund zum Heulen hatte.
„Bist du denn jetzt total durchgedreht?!“, brüllte er gegen den Wind und meine Tränen an.
„Was ist denn nur los mit dir? Seit wir hier sind, benimmst du dich wie ein Irrer, der von einem schlechten LSD-Trip nicht mehr runterkommt. Kannst du mir bitte einmal erklären, was das eben sollte? War das der klägliche Versuch einen Selbstmord zu veranstalten? Oder hast du dir plötzlich vorgenommen, ein Artist in einem Zirkus für Geisteskranke zu werden?“
Er war erschrocken. Erschrocken und sehr wütend. Ich verstand, was ich ihm eben angetan hatte, und konnte nur ahnen, was ich ihm erst angetan hätte, wenn ich nur etwas erfolgreicher gewesen wäre.
Manfred zitterte, und seine Augen waren so groß wie Golfbälle. Er hatte wirklich sehr starke Angst um mich gehabt. In dieser Sekunde erst begriff ich, was er mir bedeutete. Er war nicht nur mein Pfleger, nein, er war mehr. Er war nicht nur dafür da, mir meinen Hintern sauber zu halten und mich durch die Gegend zu kutschieren. Er war alles, was ich hatte. Er war mein Freund, nur ihm vertraute ich. Vielleicht traute ich ihm sogar mehr als mir selber!
Mühsam beugte ich mich nach vorne und nahm ihn in die Arme.
„Es tut mir leid, Manfred.“
Mehr konnte ich nicht sagen, doch es genügte. Er verstand. Er wusste zwar nicht, was mich so in Angst versetzt hatte, und warum ich so hilflos war. Aber ihm war klar, dass es mehr als nur meine Behinderung sein musste.
Ich beschloss, ihm alles zu erzählen. Er hielt mich doch sowieso schon für verrückt, schlimmer konnte ich es mit der Wahrheit auch nicht mehr machen.
Ich erzählte ihm von meiner ersten Solofahrt in den Supermarkt, von der Kassiererin. Ich erzählte ihm von den unheimlich geistreichen Gesprächen, die ich mit dem Pfarrer und mit meinen Eltern geführt hatte. Ich erzählte ihm von meinen Ausflügen zum Kennedy-Platz und wie ich einem anderen Lebensmüden das Leben gerettet hatte. Wie ich plötzlich von der Existenz des Kolosses erfahren hatte, und von seinen dunklen und gnadenlosen Gedanken. Schließlich berichtete ich ihm, wie ich meiner Mutter das Geld für unsere Irlandreise abgeschwatzt hatte, und dass es eigentlich nur eine Flucht vor einem Wahnsinnigen war. Eine Flucht, die ich nun abbrechen wollte, weil der Wahnsinnige zu Hause Dinge anstellte, die für mein Umfeld nicht gesund sein konnten. Zum Schluss versuchte ich ihm zu erklären, warum ich dies alles für mich behalten hatte, aus Angst, er würde mich für verrückt erklären.
Er hatte mir
Weitere Kostenlose Bücher