Gnadenlose Gedanken (German Edition)
sie hatten eine heilende Wirkung auf die Klienten meines Vaters, so dass sie ein wenig kleinlauter zu ihm kamen, was ihm natürlich nur recht war. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, verabscheute er die Polizisten.
Es passte in sein Bild, dass man ihn jetzt schon so lange hier warten ließ, ohne auch nur einmal nach ihm gesehen zu haben. Er hätte in aller Seelenruhe sämtliche Akten durchlesen können, es wäre bestimmt eine kurzweilige Wartelektüre gewesen. Wenn er nur diese Seelenruhe besessen hätte! Doch erstens war er ein grundehrlicher Mensch, und zweitens war er verheiratet. Und sein Eheglück saß jetzt gerade neben ihm, und konnte nicht damit aufhören, ihm gehörig auf die Nerven zu gehen. Da war an einem intensiven Aktenstudium nicht zu denken. Er dache an Scheidung, und an übermäßigen Alkoholkonsum, der angeblich die wundersame Wirkung besitzen sollte, dass man sich dadurch eine Frau schöntrinken könnte. Ob man sie mit Hilfe des Alkohols auch verstummen lassen konnte? Er war nie ein großer Trinker gewesen, und er bezweifelte auch die Heilkraft, die mancher Mann sich von diesem Stoff versprach.
In mancher Stunde seines Berufs- und Ehelebens konnte er es verstehen, dass einige Menschen ein Gewaltverbrechen im Affekt verübten. Es war ihnen doch auch kaum zu verübeln, wenn sie mit so einer Nervensäge vereint waren, wie er dies nun bereits seit über fünfundzwanzig Jahren war. Dass ihm noch nicht die Hand gegen seiner Frau ausgerutscht war, erstaunlich! Er verfügte halt über jede Menge Selbstdisziplin, anders konnte man in seinem Beruf auch nicht überstehen. Da musste man sich und seine Emotionen stets unter Kontrolle haben, anderenfalls war man chancenlos. Kein Richter ließ es zu, dass man die Beherrschung verlor, es hätte das sofortige Aus bedeutet.
Doch meine Mutter stellte heute seine Geduld auf eine besonders harte Probe. Der Mord an
ihren
Pfarrer in der Wohnung
ihres
Sohnes hatte sie natürlich total aufgewühlt, sie war noch besorgter als üblich. Sie stellte meinem Vater unzählige Fragen nach dem Motiv und dem Tatort. Warum war der Gottesmann getötet worden, und warum ausgerechnet in Roberts Wohnung? Das waren natürlich Fragen, die auch meinen Vater interessierten, aber er fand nicht die Ruhe, um nach einer passenden Antwort forschen zu können. Und der Mann, der ihm vielleicht ein paar Hinweise hätte geben können, ließ ihn hier schmoren. Wenn er schon nicht Hinweise gegeben hätte, so hätte er ihn aber garantiert von den Fragen seiner Frau erlösen können. Dann hätte
er
das Geheule und Gejammer einer leidenden Mutter ertragen müssen! Herrlich! Vielleicht hätte mein Vater in der Zeit ein Tässchen Kaffee getrunken, oder wäre sogar zurück in sein Büro gefahren. Aber
er
war es ja, der hierher bestellt worden war, seine Frau war bereits verhört worden. Ein zweites Mal wollte sich dieser Laschek dieses erbärmliche Gezeter bestimmt nicht zumuten.
Aber mein Alter musste es sich anhören. Schon seit über zwei Jahrzehnten war er an diese Frau gefesselt, und konnte sich schon lange nicht mehr daran erinnern, warum er sie überhaupt geheiratet hatte. Aus Liebe? Kaum vorstellbar. Was hätte an dieser Frau denn auch schon liebenswert sein können? Natürlich war sie früher hübscher gewesen. Damals hatte sie noch einen straffen Busen gehabt, und ihre Haut hatte noch nicht wie eine Mondlandschaft ausgesehen. Er konnte sich noch ganz schwach daran erinnern, dass er in ihren Hintern nahezu vernarrt gewesen war. Er hatte kaum seine Hände bei sich halten können, immerzu hatte er ihn anfassen und kneten müssen. Heute war er einfach nur noch unappetitlich, und er war heilfroh, dass sich ihr Interesse an Sex nicht mit den Jahren vermehrt hatte. Im Gegenteil, sie war noch leidenschaftsloser als früher, und damals hatte er bereits viele Überredungskünste anwenden müssen, um sie ins Bett zu bekommen. Dort hatte sie sich dann gerne genau so verhalten, wie sie es ihr gesamtes Leben gemacht hatte. Viel reden, wenig handeln. Sie scheute sich nicht, ihm von ihren langen und ausgiebigen Telefonaten mit ihrer Mutter zu erzählen, während er krampfhaft bemüht war, seine Erektion aufrecht zu halten. Wobei aufrecht durchaus wörtlich zu verstehen war. Gar nicht so einfach, wenn man auf einer Klatschtante herumturnte.
Aber diese Phase war dann glücklicherweise relativ schnell überwunden gewesen, und der Sex wurde mit der Zeit immer seltener. Nur leider wurde ich noch vor
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