Gnadenlose Gedanken (German Edition)
unzuverlässig war, wie alle Polizisten, denen er in seiner Laufbahn begegnet war. Lange würde er hier nicht mehr warten! Sollte dieser Bulle doch zu
ihm
kommen! Er wollte doch etwas von ihm, nicht umgekehrt! Er hatte sowieso keine Ahnung, wie er dem Kommissar helfen könnte. Über den Praktikanten in seiner Kanzlei wusste er mehr, als über mich. Er hatte sich nie sonderlich um mich gekümmert. Das schönste Geschenk, was mir mein Vater zu meinen Geburtstagen machen konnte, war, sie nicht zu vergessen! Wie oft hatte ich als Kind auf ihn gewartet, um mit ihm mein neues Spielzeug auszuprobieren? Und wie oft war ich darüber eingeschlafen? Nein, mein Vater hat sich nie für seinen Sohn interessiert. Was hätte er denn jetzt dem Polizisten schon Hilfreiches berichten können? Diese Warterei war ohne Zweifel vertane Zeit. Kostbare Zeit. Seine Mandanten brauchten ihn. Sie brauchten ihn dringend. Und er saß hier und verplemperte den Tag mit seiner nervenden Frau.
Da bereicherte meine Mutter die Spekulationen mit einer neuen Idee.
„Vielleicht ist er ja entführt worden? Vielleicht haben ihn ja diese grausamen Terroristen gekidnappt! Die schrecken doch vor nichts zurück!“
Das war zuviel für meinen Alten! Er hätte sich die Mühe machen können, meiner Mutter zu erklären, dass es in der
Republik
Irland keinen Terrorismus gab. Dass dieser ganze Spuk lediglich in
Nord
irland stattfand. Er hätte ihr auch verraten können, dass dies sich solange nicht ändern würde, bis
sie
eines Tages einen Fuß auf die Insel setzen würde. Dann würden sich wahrscheinlich sofort tausende von Freiwilligen melden, die dafür sterben würden, nur um sie mundtot zu machen. Doch er sparte sich diese Erklärung. Es hätte nichts gebracht. Sie hätte es auch nicht verstanden. Dafür war ihr Horizont zu beschränkt. Er musste zu einfacheren Mitteln greifen. Er sprang wütend auf.
„Ich verschwinde jetzt von hier! Diese ganze Warterei bringt doch nichts! Ich habe Weißgott Wichtigeres zu tun, als auf einen versoffenen Gesetzeshüter zu warten, der mir dämliche Fragen stellen will. Außerdem kann ich deine Nerverei nicht länger ertragen! Beim besten Willen nicht. Du kannst gerne weiter hier herumsitzen und vor dir hinbrabbeln, ich gehe jetzt. Falls dieser Bulle doch noch auftauchen sollte, kannst du ihm gerne ausrichten, dass er mich in meinem Büro erreichen kann. Die Nummer kennst du ja leider!“
Bevor meine Mutter etwas erwidern konnte, war er auch schon verschwunden. Was hätte sie ihm denn auch sagen können? Wahrscheinlich hatte er ja auch Recht. Bestimmt hatte er das. Ihr Mann hatte immer Recht. Das war schließlich sein Beruf.
Sie wartete weiter auf Kommissar Laschek. Sicher würde er bald kommen. Und vielleicht brachte er ja gute Nachrichten von ihrem kleinen Baby mit.
Ich war natürlich doch auf dem Polizeiboot eingeschlafen. Zu beruhigend war das Schaukeln gewesen. Zu wärmend die Decke und der Tee. Gnädigerweise hatte man mich auch in Ruhe gelassen. Als ich wieder erwachte, brummte mir mein Schädel. Ich tastete vorsichtig nach meiner Stirn und fühlte die Beule, die ich mir selber zugefügt hatte. Seltsam, wie ein Mensch handelte, wenn er sich in einer außergewöhnlichen Situation befand. Da hörte er diese seltsamen Gedanken von Ertrinkenden, und schlug sich selber ein Transistorradio auf den Kopf! Nur gut, dass mich dabei niemand beobachtet hatte. Wie hätte ich das erklären sollen? Unwichtig. Nur das Boot, das Meer, die Beule und das Radio waren Zeugen gewesen, und die konnten schweigen.
Viel wichtiger war es nun, wie es weitergehen sollte. Zuerst musste ich herausfinden, was aus Manfred geworden war. Ob er die Katastrophe überlebt hatte. Er war wirklich ein miserabler Schwimmer, ich machte mir ernsthafte Sorgen um ihn. Andererseits war er ein sehr intelligenter Mann, der sich immer zu helfen wusste. Wenn er nicht gerade aß, dann las er Bücher. Alle möglichen Bücher. Wahrscheinlich hatte er auch einen Leitfaden für nichtschwimmende Schiffbrüchige verschlungen.
Der Kapitän hatte vor meinem Nickerchen gesagt, dass viele Passagiere gerettet worden seien, Veronika und ich waren mit die letzten Vermissten gewesen. Man hatte sofort nach Bekanntwerden des Unfalls eine Liste angefordert, die Aufschluss über die Anzahl der Passagiere und Besatzungsmitglieder geben sollte. Die Angaben waren zwar etwas unpräzise gewesen, aber die Zahl der Gefundenen kam annähernd an die geschätzten Zahlen heran.
Man
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