Gnadenlose Jagd
noch eine Partie Schach. Diesmal werde ich ihn schlagen. Im Judo und all seinen anderen Kampfsportarten ist er wesentlich besser als bei Brettspielen. Ungewöhnlicher Mann, dieser Robert.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Und ist es nicht auch erstaunlich, dass er nur wenige Monate nach deiner Ankunft hier in der Stadt aufgetaucht ist und sein Kampfsportstudio eröffnet hat?«
»Nicht besonders. Hier in der Stadt gab es so was noch nicht. Es war einfach eine Marktlücke.«
Charlie nickte. »Sicher, man kann alles so oder so sehen – bis heute Abend.«
Grace schaute ihm nach, als er zur Scheune ging. Trotz seines hohen Alters hatte er einen federnden Gang, und sein drahtiger Körper wirkte so vital wie der eines wesentlich Jüngeren. Charlie kam ihr nie vor wie ein Greis, und es schmerzte sie, ihn so reden zu hören. Sie hatte noch nie erlebt, dass er über Alter und Tod sprach, er lebte immer für den Augenblick … und in letzter Zeit bestand das Leben für sie alle drei aus guten Augenblicken.
Ihr Blick wanderte zu den Bergen am Horizont. Die Spätnachmittagssonne tauchte die Kiefernwälder an den Hängen in ein tiefdunkles Grün, das an diesem heißen Augusttag eine beinahe betäubende Friedlichkeit ausstrahlte. Als sie vor acht Jahren zum ersten Mal auf Charlies kleiner Pferdefarm gewesen war, hatte sie diese Friedlichkeit angezogen. Die Farbe an Zäunen und Nebengebäuden war alt und rissig gewesen, und das Wohnhaus hatte ausgesehen, als wäre es seit Jahren nicht mehr in Schuss gehalten worden, aber der ganze Ort war durchdrungen gewesen von dieser zeitlosen Friedlichkeit. Und diesen Frieden hatte sie weiß Gott bitter nötig gehabt.
»Mom.«
Als sie sich umdrehte, sah sie Frankie auf sich zulaufen. »Alles erledigt?«
»Ja.« Sie nahm Grace’ Hand. »Ich hab beim Striegeln mit Darling geredet. Ich hab ihn dafür gelobt, wie brav er heute war, und ihm gesagt, dass ich dasselbe morgen von ihm erwarte.«
»Wirklich?«
Frankie seufzte. »Aber wahrscheinlich wirft er mich trotzdem ab. Heute hatte ich einfach einen Glückstag.«
Grace lächelte. »Vielleicht wird morgen ja auch wieder ein Glückstag.« Sie drückte Frankies Hand fester. Gott, wie sehr sie dieses Kind liebte. Und was für ein vollkommener Augenblick. Egal was morgen passieren würde, heute war alles, wie man es sich nur wünschen konnte. »Laufen wir um die Wette zum Haus?«
»Klar.« Frankie löste sich von ihrer Mutter und rannte los.
Sollte sie sie gewinnen lassen? Würde es schaden, wenn sie –
Grace rannte, so schnell sie konnte. Sie musste Frankie gegenüber ehrlich sein und durfte niemals Zweifel an ihrer Ehrlichkeit aufkommen lassen. Eines Tages würde Frankie sie haushoch schlagen, und dann würde sie den Triumph umso mehr genießen …
»Es gibt Regen.« Grace blickte in den Abendhimmel. Sie stand mit Robert Blockman auf dem Parkplatz und wartete auf Charlie und Frankie, die im Nebenraum der Pizzeria noch ihre Poolbillardpartie beendeten. »Ich spüre es ganz deutlich.«
»Laut Wetterbericht soll es die nächsten Tage knochentrocken bleiben.« Robert stützte sich auf die Tür seines Geländewagens. »Im August ist es gewöhnlich ziemlich trocken.«
»Heute Nacht gibt es Regen«, wiederholte sie.
Robert lachte in sich hinein. »Ich weiß. Wen interessiert es schon, was der Wetterbericht sagt? Man spürt es einfach. Und die Pferde auch. Die sind bestimmt auch schon ganz unruhig.«
»Ich bin nicht unruhig. Ich mag Regen.« Durchs Fenster konnte sie beobachten, wie Frankie den Queue ansetzte. »Und Frankie auch. Manchmal reiten wir im Regen sogar aus.«
»Ich nicht. Ich bin wie ein Kater und mache es mir lieber im Haus gemütlich, wenn’s draußen nass ist.«
Sie lächelte. Robert erinnerte sie weniger an einen Kater als an einen Bären. Er war Ende vierzig, aber kräftig und vierschrötig, mit kurzen, dunklen Haaren und einer von einem Bruch verformten Nase. Grace sagte immer, dass er nicht wie ein Kampfsporttrainer, sondern wie ein Preisboxer aussah. »Ein bisschen Regen würdest du auch überleben. Wie war denn deine Woche, Robert? Irgendwelche neuen Schüler?«
»Ja. Du hast sie vielleicht gesehen, als du heute Nachmittag im Dojo warst, da haben sie sich gerade angemeldet. Zwei Jungs, deren Vater, ein Lastwagenfahrer, der Meinung ist, dass sie genauso hartgesotten werden sollen wie er.« Robert machte ein verächtliches Gesicht. »Aber da brauchen sie nicht viel zu lernen. Mit dem Alten würde ich
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