Gnadenlose Jagd
getroffen. Ich habe mich nicht geschützt. Ich war selbst schuld.« Sie öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. »Du hattest nichts damit zu tun.«
»Das tut weh.«
»Längst nicht so, wie es dir wehtut, nicht dabei gewesen zu sein, als Frankie laufen gelernt hat. Oder nicht dabei gewesen zu sein, als sie ihre ersten Worte gesprochen hat, und sie nie in den Schlaf gesungen zu haben. Du hast ja keine Ahnung.«
»Doch.«
Sie verstummte, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Vielleicht war ihm tatsächlich bewusst, was er verpasst hatte, und litt darunter. Als sie damals zusammen waren, hatte sie manchmal den echten Kilmer hinter der beherrschten Fassade durchschimmern sehen. Sie hatte ihn bis zur Heldenverehrung bewundert, und sie war auf seinen Körper abgefahren und hatte den Sex mit ihm genossen. Was wäre gewesen, wenn sie den ganzen Mann kennengelernt hätte? Hätte sie auch dann der Zuneigung ihres Vaters mehr vertraut als Kilmers Worten?
Er schaute sie durchdringend an, als er ihren Gesichtsausdruck wahrnahm. »Grace …?«
Hastig ging sie in ihr Zimmer, machte die Tür zu, lehnte sich dagegen und schloss die Augen. Sie spürte ein Prickeln im ganzen Körper, es war, als würde sie einfach dahinschmelzen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Es war verrückt, wie sie auf Kilmer reagierte. Das musste unbedingt aufhören.
Aber es würde nicht aufhören. Nicht, solange sie mit Kilmer unter einem Dach weilte und ihm jeden Tag begegnete. Andererseits bestand kein Zweifel daran, dass sie mit Frankie hierbleiben musste, bis die Gefahr vorüber war. Sie konnte sich nicht vor ihm verschließen, und jedes Mal wenn sie ihn sah, wurde die Spannung schlimmer.
Sie konnte ihre Gefühle verdrängen, dafür sorgen, dass sie beschäftigt war, sich um Frankie kümmern.
Plötzlich sah sie Kilmer vor sich, wie er sie angesehen hatte, ehe sie in ihr Zimmer geflüchtet war. Wund, entschlossen und erregt. Es war so intensiv gewesen, dass sie in Panik geraten war, denn es kam ihr vor, als blickte sie in einen Spiegel.
Gott, sie konnte nur hoffen, dass es ihr gelang, ihre Gefühle zu verdrängen.
»Magst du Gypsy genauso gern wie Darling?«
Frankie war gerade dabei, Gypsy zu striegeln. Als sie Kilmers Stimme hinter sich hörte, drehte sie sich um. »Ich mag sie alle beide. Es wäre nicht fair, eins von ihnen vorzuziehen. Das andere Pferd würde es vielleicht spüren und wäre verletzt.«
»Verstehe.« Er lächelte. »Kein Unterschied? Nicht mal ganz tief in deinem Herzen?«
Sie überlegte. »Sie sind sehr unterschiedlich. Gypsy ist sanft und ruhig, und Darling ist nervös und … lustig. Mal ist mir mehr danach, mit dem einen zu arbeiten, mal mit dem anderen. Ich wünschte, Darling wäre auch hier.«
»Eigentlich hab ich den Eindruck, dass du mit Gypsy und deiner Musik genug zu tun hast.«
»Für einen guten Freund hat man immer Zeit.« Frankie begann wieder mit dem Striegeln. »Und ich hab nicht viele Freunde.«
»Warum denn nicht?«
»Ich stehe auf andere Sachen als die meisten Kinder. Die finden mich komisch.«
»Macht dir das was aus?«
»Ein bisschen. Manchmal. Das Reiten ist okay. Viele Kinder in Tallanville reiten. Aber es gibt nicht viele, die ein Instrument spielen, und ich bin die Einzige, die die Musik hört.«
»Würdest du die Musik sein lassen, wenn du dann mehr Freunde hättest?«
»Was für ein Quatsch.«
»Heißt das nein?«
»Das gehört einfach zu mir. Wie könnte ich es sein lassen? Die Musik gibt mir das Gefühl … ich weiß nicht … als könnte ich wie ein Adler fliegen oder wie Darling über Hürden springen und –« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Darling fürchtet sich vor den Hürden, aber ich fürchte mich nicht vor der Musik. Ich glaub, ich hab noch nie ein Pferd gesehen, das so ist wie die Musik.«
»Ich glaube, ich schon.«
Sie schaute ihn mit großen Augen an. »Wo denn?«
»Eigentlich waren es zwei Pferde. In Marokko. Deine Mutter hat sie auch gesehen.«
»Davon hat sie mir nie erzählt.«
»Es sind keine Pferde, die sie gern reiten würde. Sie sind voller Blitz und Donner. Aber wenn man sie galoppieren sieht, erinnern sie einen an Musik.«
»Blitz und Donner … Tschaikowsky?«
»Oder Chopin.«
»Ich würde sie auch gern mal sehen.«
»Vielleicht eines Tages.«
»Wie heißen sie?«
»Sie werden die Zwei genannt, ich habe noch nie gehört, dass jemand sie bei einem anderen Namen gerufen hat.«
Sie schüttelte bestimmt den Kopf. »Wenn Mom sie gesehen hat, dann hat
Weitere Kostenlose Bücher