Gnadenthal
Romantik.
Schwerfällig rappelte er sich auf, klopfte sich die Hosenbeine ab und hob die glimmende Zigarette auf, die ins Gras gefallen war.
Vom Schloss schallten Stimmen herüber, die Flügeltüren zur Terrasse waren geöffnet, ein paar Leute standen zusammen und diskutierten gestenreich.
Man war angekommen.
Dagmar entdeckte ihn als Erste, lief über den Rasen auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Er spürte, wie ihm das Blut in den Unterleib schoss, und fluchte still. Sanft schob er sie von sich, hielt aber ihre Hände fest und betrachtete sie forschend. «Was ist los?»
«Ich bin stinksauer», schimpfte sie. «Anscheinend ist Frieder jetzt endgültig durchgeknallt.»
Er lächelte. «Wegen der Zimmerverteilung, meinst du?»
«Ich finde das überhaupt nicht lustig!» Sie machte sich los.
«Nein, ich auch nicht, aber …»
Sie ließ ihn nicht zu Wort lommen. «Und das Allerbeste ist, für Rüdiger ist erst ab nächsten Freitag ein Zimmer gebucht.»
«Was?»
«Ja, weiß der Geier, was da schief gelaufen ist. Es ist auch nichts mehr frei, weil außer uns noch eine Gruppe Religionslehrer hier tagt.»
«Und jetzt?»
Sie zog die Schultern hoch. «Keine Ahnung. Rüdiger hat sich auf die Suche nach dem Geschäftsführer gemacht. Diese neue Zicke an der Rezeption kriegt ja nichts gebacken.»
Haferkamp nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. «Na komm, es wird sich schon was finden. Zur Not schlafe ich in meiner Wohnung, und Rüdiger kann mein Zimmer haben.»
«Ach, Mensch …» Sie entspannte sich ein wenig. «Das wäre doch nicht dasselbe.»
«Ich weiß. Komm, lass uns zu den anderen gehen.» Er schaute zum Schloss hinüber. «Scheint ja eine Bombenstimmung zu herrschen.»
«Das kannst du laut sagen, ein Superanfang.»
Maria und Hansjörg hatten sich mal wieder in der Wolle.
«Ich habe dir ausdrücklich gesagt, dass ich diesmal ein Zimmer mit eigenem Bad will», keifte sie. «Wieso hast du das nicht weitergegeben?»
Hansjörgs Antwort konnten sie nicht verstehen.
«Ist mir vollkommen schnuppe. Wenn ich kein anständiges Zimmer kriege, schlafe ich zu Hause.»
Jetzt waren sie nahe genug herangekommen.
«Bitte, wenn du jeden Abend nüchtern bleiben willst», giftete Hansjörg zurück, und dann im Salbaderton: «Das hier ist doch kein Urlaub, Ria. Wir proben jeden Tag bis spät in die Nacht, das weißt du doch.»
Maria schnaubte, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand im Salon.
«Grüß dich, Jörg!» Haferkamp gab ihm die Hand.
«Martin!», kam es verkniffen zurück.
Auch Dagmar lief ins Haus. «Ich guck mal, wo Rüdiger steckt.»
Haferkamp folgte ihr langsam. Neben dem Kamin stand Kai Janicki, rauchte und hielt sich raus. Sie tauschten einen einvernehmlichen Blick.
«Martin! Das ist ja süß!» Sibylle flog quer durch den Raum auf ihn zu. Sie trug einen feuerwehrroten Overall und Boxerstiefel. «Mir geht es absolut super», kicherte sie, als sie ihm drei feuchte Küsse auf die Wangen drückte.
«Freut mich, Bylle.» Mehr Konversation musste er nicht machen, denn in diesem Moment kam Walterfang in den Salon. Seine Zottelhaare klebten ihm nass am Schädel, er hatte anscheinend tatsächlich geduscht.
«Heinrich, wie süß!» Sibylle zog ihn mit auf den Flur hinaus und fing an, mit wichtiger Miene auf ihn einzuflüstern, aber sie wurden unsanft beiseite geschoben.
Frau Wegner, seit über zwanzig Jahren die Küchenchefin, baute sich in der Tür auf. «Jetzt aber mal alle ganz schnell raus hier, wir wollen eindecken!» Dabei strahlte sie über ihr ganzes Apfelbäckchengesicht.
Selbst Hansjörg und Maria kamen aus ihren Schmollecken, um ihr die Hand zu schütteln, Umarmungen und gutmütige Knüffe wurden getauscht. Missbilligend musterte die Köchin Kai. «Junge, Junge, es wird aber wirklich Zeit, dass ich dich wieder unter meine Fittiche nehme, du bist ja richtig vom Fleisch gefallen.»
Dann scheuchte sie alle auf die Terrasse hinaus. «Dagmar, Rüdiger, das gilt auch für euch!»
«Ich denke nicht im Traum daran, auf einem Feldbett zu schlafen», schimpfte Rüdiger, als er herauskam.
«Jetzt warte doch erst einmal ab», versuchte Dagmar zu beschwichtigen. «Der Hausmeister sagt doch, er stellt ein Doppelbett auf.»
«Das passt doch nie und nimmer rein.»
Dagmar verdrehte stumm die Augen.
Mit lautem Hupen rollte ein Auto auf den Parkplatz.
«Das muss Frieder sein!» Walterfang lief sofort los, Sibylle, Hansjörg und Maria folgten ihm etwas langsamer.
Kai Janicki ließ sich auf
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