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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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die Heizung auf vollen Touren lief, war es im Blauen Saal immer noch ein wenig muffig und klamm, aber das schien keinen sonderlich zu stören.
    Mittlerweile war es halb zwölf geworden, und Haferkamp lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück. Nach dem reichhaltigen Abendessen – er hatte Sauerbraten mit Rotkohl gewählt – und ein paar Gläsern Champagner waren alle milde gestimmt. Mit den zwölf Flaschen hatte Frieder ihre Trinkfreudigkeit allerdings eindeutig überschätzt.
    Als er jetzt aufstand, um Rüdiger nachzuschenken, legte der die Hand auf sein Glas. «Danke, aber mir reicht’s für heute. Wenn ich noch mehr trinke, bin ich morgen zu nichts zu gebrauchen.»
    «Also, ehrlich», moserte Frieder, «du hörst dich an wie ein Tattergreis.» Seine Sprache war deutlich verwaschen, er hatte noch nie viel Alkohol vertragen.
    «Ich bin kaputt, schließlich habe ich noch bis fünf gearbeitet.»
    «Wie die meisten anderen auch», meinte Dagmar aufgekratzt und hielt Frieder ihr Glas hin. «Mir kannst du noch was geben. Wann kriegt unsereins schon mal so ein edles Gesöff?»
    «Mir auch noch was!», rief Bylle. «Ist bloß schade, dass Hartmut nicht da ist. Der hätte jetzt seine Gitarre ausgepackt, und wir hätten ein bisschen was singen können.»
    Haferkamp rümpfte die Nase. Er hatte nie viel Spaß an den munteren Sangesrunden gehabt. Hartmut spielte eigentlich ganz gute Sachen, aber stets wurde schnell der Ruf nach ‹American Pie› und ‹Where do you go to, my lovely› laut, und jedes Mal endete es schließlich bei den Beatles und Bob Dylan.
    Er leerte sein Glas und stand auf. Kai, Dagmar und er hatten nach dem Essen die Fotokopien ihrer Texte geholt, es wurde Zeit, sie zu verteilen.
    «Jetzt sei doch nicht so ungemütlich!», maulte Sibylle, aber er ließ sich nicht beirren.
    «Wir haben ein Mordspensum vor uns. Wenn wir uns morgen Mittag zusammensetzen, muss nicht nur jeder alle Texte gelesen haben, wir müssen uns auch über das ‹Best-of-Programm› im Klaren sein.»
    Auch Dagmar und Kai reichten ihre Stapel herum.
    Frieder klopfte anerkennend auf das Päckchen Papier in seinem Schoß. «Mann, wart ihr fleißig!»
    «Und wo ist dein Material?», fragte Kai.
    «Erwischt!» Frieder schaute zerknirscht. «Ich habe so gut wie gar nichts zustande gebracht, tut mir Leid. Wenn ich mich ans Schreiben gemacht habe, ist nur Mist dabei herausgekommen. Ich hatte wohl einfach zu viel anderes um die Ohren.»
    Verblüfftes Schweigen, Frieder war der Kreativste von ihnen allen gewesen, hatte immer eher zu viel Material beigesteuert.
    «Aber», fuhr er nuschelnd fort, «ich habe drei wunderbare Sketche überarbeitet, die unser Hansjörg geschrieben hat.»
    «Du?», japste Maria.
    «Hört, hört», rief Rüdiger.
    Möller schlug die Augen nieder. «Na ja», brummelte er.
     
    Haferkamp war früh aufgewacht und hatte in aller Ruhe duschen können, bevor der große Ansturm einsetzte. Auch im Frühstücksraum war er der Erste. Er holte sich einen Becher Kaffee, zwei Butterhörnchen und Konfitüre vom Buffet, umschiffte die gedeckte lange Tafel und setzte sich an einen kleinen Fenstertisch.
    Die Sonne spitzte gerade eben so über die Baumwipfel, ein zarter Nebelschleier lag über dem feuchten Gras.
    Er fühlte sich ausgeruht und frisch. In den letzten Jahren war er hier jeden Morgen mit einem völlig verspannten Rücken aufgewacht, aber anscheinend hatte man die Betten mit neuen Matratzen ausgestattet. Als er den Frühstückstisch verließ, war es nicht einmal neun. Er hatte alle Zeit der Welt, denn sie würden sich erst zum Mittagessen wieder treffen. Bis dahin sollte jeder alle Texte gelesen haben, und da er Kais und Dagmars Material schon kannte, musste er sich nur mit den drei Sketchen beschäftigen, die Hansjörg wundersamerweise zu Papier gebracht hatte.
    In seinem Zimmer öffnete er beide Fensterflügel, machte sein Bett und setzte sich dann zum Lesen an den Tisch.
    Gott, was für ein Klamauk! Genau die Art von Sketchen, die ihn auf die Palme brachte.
    Bei den Dialogen erkannte man deutlich Frieders Handschrift, die waren okay, aber Aussage und Umsetzung … ‹Griechischer Wein› war wirklich unterste Comedy-Schublade.
    Er nahm sich einen Zettel und formulierte ein paar diplomatische Sätze, die er später in die Diskussion einbringen konnte. Sie würden sicher heute den ganzen Tag damit verbringen, sich über die Zusammensetzung des Programms zu einigen. Als Erstes würden sie über den ‹Best of›-Teil

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