Gnadenthal
dir. Du redest Quatsch.»
«Ganz bestimmt nicht.» Sie umschlang seinen Nacken. «Könntest du mich küssen, Martin? Ich meine, so richtig küssen.»
Und er küsste sie, richtig, obwohl er wusste, dass es schrecklich falsch war.
Die Religionspädagogen waren abgereist, und vor Donnerstag wurden keine neuen Gäste erwartet. Sie waren also unter sich und konnten es sich im Salon gemütlich machen.
Wie sie dort vor dem Panorama des romantisch erleuchteten Parks auf den Sofas und Sesseln herumlümm elten und Sekt schlürften, Haferkamp fand es schwer zu ertragen. Die restlichen Champagnerflaschen waren schnell geleert, und Möller ging, um eine Kiste Wein aus seinem Auto zu holen.
Patricia hielt sich an Mineralwasser, sie trank niemals Alkohol. Der sei schlecht für die Figur und schade der Haut, hatte sie im letzten Jahr verkündet und sich dadurch nicht unbedingt beliebt gemacht, aber das hatte sie nicht weiter gestört. Für ihr Alter war sie erstaunlich selbstbewusst und gelassen, vielleicht lag es daran, dass sie an Eliteinternaten erzogen worden war. Sie wusste ganz genau, was sie vom Leben erwartete – nämlich nur das Beste –, und sie schien vollkommen sicher zu sein, dass sie es auch bekommen würde.
Jetzt kuschelte sie sich in Frieders Arm und sorgte ganz unauffällig dafür, dass dessen Glas möglichst selten aufgefüllt wurde.
«Hör mal, Schneekönig», meinte Rüdiger mit schwerer Zunge, «dir ist doch wohl klar, dass du fast siebzig bist, wenn dein Kind Abitur macht. Es wird Opa zu dir sagen.»
Frieder lächelte nur und streichelte zum x-ten Mal Patricias Babybauch.
Sie sieht überhaupt nicht schwanger aus, dachte Haferkamp. Da war lediglich diese perfekte kleine Kugel, aus der irgendwann das perfekte Designbaby schlüpfen würde.
Er schaute zu Dagmar hinüber, die den ganzen Abend kaum ein Wort gesagt hatte.
«Nein, wirklich», beharrte Rüdiger, «ich käme mir komisch vor, wenn ich in meinem Alter noch einen Kinderwagen schieben müsste. Die schlaflosen Nächte und was sonst noch so dazugehört, ich weiß nicht, das müsste ich wirklich nicht haben.»
«Sag mal, Rüdiger», ließ sich Möller vernehmen, «kann es sein, dass du neidisch bist?»
Rüdiger gab einen dumpfen Laut von sich, und für einen Moment sah es so aus, als wollte er Möller an die Kehle gehen.
Frieder bemerkte von alledem nichts. «Ich freue mich drauf.» Er streckte sich wohlig. «Ich fühle mich einfach großartig. Ich wollte eigentlich schon immer Kinder, es hat sich bisher nur noch nie ergeben.»
Dagmar stellte ihr Glas ab und verließ ohne ein Wort der Erklärung den Raum.
«Wie süß», meinte Sibylle, «unser cooler Frieder wird auf seine alten Tage plötzlich noch richtig romantisch. Habt ihr schon Namen ausgesucht?»
«Wir warten ab, bis sie geboren ist», antwortete Frieder. «Wenn sie so dunkel ist wie Patricia, werden wir sie Jacinta nennen, ansonsten wird’s eine Aimée.»
«Es ist also ein Mädchen?»
«Bis jetzt sieht es ganz danach aus.»
«Hört mal, Leute», meldete sich Maria zu Wort. «Wir gammeln hier rum, dabei hat Patricia noch keinen einzigen Text gelesen. Wie sollen wir denn morgen mit den Proben weitermachen?»
«Ach, Patricia hat genug Zeit zum Lesen, wenn wir uns mit den Fernsehleuten herumschlagen.»
«Sind überhaupt Rollen dabei, die eine Schwangere spielen könnte?», fragte Patricia. «Ihr müsst bedenken, ich werde im siebten Monat sein, wenn die Tour anfängt.»
«Doch, doch», murmelte Maria, «oder?»
Sie überlegten gemeinsam.
«Ach, lasst», unterbrach Patricia sie. «Ich schätze, es wird am besten sein, wenn Bettina dieses Jahr meinen Part komplett übernimmt.»
«Ausgeschlossen», wehrte Kai sich matt. «Bettina geht es zurzeit nicht besonders.»
Patricia warf ihre schwarze Mähne zurück. «Mein Gott, sie ist doch schon seit Jahren krank. Aber so, wie ich gehört habe, hat sie es trotzdem immer irgendwie hingekriegt.»
Janicki rang um Fassung, und Haferkamp beeilte sich, ihm zur Seite zu springen. «Mach dir keine unnötigen Gedanken, Patricia. Wir schaffen es sehr gut ohne Bettina – und ohne dich.»
«Lass gut sein, Sternchen», raunte Frieder und zog sie noch näher an sich heran.
Haferkamp wachte auf, weil er aufs Klo musste. Er hatte schlecht geschlafen. In dieser Nacht schien das Haus nicht zur Ruhe zu kommen. Schritte auf dem Flur, Türen klappten, jemand tuschelte.
Mochten die Außenmauern des Schlosses auch mächtig sein, die
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