Gnadenthal
satt. Die ganze Zeit hackt ihr auf Frieder herum, dabei hat er sich den Sommer über die Finger wund geschrieben. Ganz nebenbei verhilft er auch noch ein paar von euch zu einer Riesenkarriere, obwohl er das nun wahrhaftig nicht nötig hätte. Und was kommt von euch? Nichts als undankbares Gejammer!»
Frieder schlug stöhnend die Hände vors Gesicht. Es wurde vollkommen still. Verwirrt schaute Patricia sich um, dann dämmerte es ihr. «Du hast es ihnen noch nicht gesagt, oder? Ich glaub’s einfach nicht! Das darf doch nicht wahr sein!»
Haferkamp drehte sich um und ging.
Dritter Teil
Dreizehn
Als er am nächsten Morgen zum Frühstück herunterkam, waren fast alle anderen schon da, was ihn nach den Strömen Alkohol, die letzte Nacht geflossen waren, einigermaßen erstaunte.
Man hielt sich schweigend an Mineralwassergläsern fest und pickte an trockenen Brötchen herum. Sicher, sie mussten alle einen gewaltigen Kater haben, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass eher Frieders Enthüllung für diese gedrückte Stimmung verantwortlich war.
Sibylle hatte geweint, ihr Gesicht war verquollen, darüber konnten auch die dicke Schicht Make-up und die zu Fliegenbeinen getuschten Wimpern nicht hinwegtäuschen. Er zuckte die Achseln, belud seinen Teller mit einem Brötchen, Butter, Leberpastete und ein paar Weintrauben, goss sich einen Becher Kaffee ein und wollte sich gerade an den Tisch setzen, als der Hausmeister wie von Furien gehetzt über den Rasen gelaufen kam und im Küchentrakt verschwand.
Alarmiert trat Haferkamp ans Fenster und spähte hinaus in den verregneten Park. Drüben am Teichufer lag irgendein Bündel. Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten – das war ein Mensch. Ohne lange zu überlegen, entriegelte er die Terrassentür und lief geradewegs zum Teich hinunter. Er hörte den Hausmeister hinter sich brüllen: «Bleiben Sie da weg!», hörte, dass jemand hinter ihm herlief, aber er drehte sich nicht um.
Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten und ausgebreiteten Armen bis zur Taille im Wasser. Entengrütze klebte im kurzen Haar, die linke Hand hatte sich um ein Teichrosenblatt gekrallt.
Es war Frieder.
Haferkamp beugte sich vor, um ihn beim Gürtel zu fassen, geriet ins Rutschen und wurde jäh zurückgezerrt.
«Dem ist nicht mehr zu helfen. Der ist tot.» Der Hausmeister zog ihn mit sich fort.
Verschwommen nahm er die verstörten Gesichter der anderen wahr, jemand wimmerte.
«Treten Sie bitte alle zurück», bellte der Hausmeister. «Die Polizei wird jeden Moment hier sein.»
«Die Polizei? Sind Sie nicht ganz gescheit?» Das war Möller. «Wir müssen den Notarzt rufen. Maria, wo hast du mein Handy?»
Aber der Hausmeister scheuchte sie wie einen Hühnerhaufen vor sich her. «Zurück ins Haus, und zwar alle, sofort!»
Auf der Terrasse hatten sich die Angestellten eingefunden.
Haferkamp hielt nach Hedwig Wegner Ausschau, konnte aber ihr Gesicht in der Menge nicht ausmachen.
Der Geschäftsführer kam gelaufen – «Was ist denn hier los, um Himmels willen?» –, er hatte wohl gerade erst seinen Dienst angetreten. Der Hausmeister nahm ihn beiseite und redete drängend auf ihn ein. «Da war nichts mehr zu machen», endete er schließlich. «Ich hab die Beine gefühlt – eiskalt und steif.»
Maria schnappte nach Luft und stolperte ins Haus. «Mein Gott, er muss ertrunken sein. Der war doch randvoll, der wusste doch nicht mehr, wo oben und unten ist.» Sie fing an zu weinen.
Haferkamp schüttelte den Kopf, aber die Benommenheit wollte nicht weichen. Schließlich ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und legte beide Hände um seinen Kaffeebecher.
«Wo ist Patricia?», fragte jemand leise.
Er hob den Kopf. «Sie ist letzte Nacht zurück nach Düsseldorf. Ich habe ihr noch die Koffer zum Auto getragen.»
«Wir müssen sie anrufen», jammerte Walterfang.
«Nein», antwortete Kai energisch. «Noch wissen wir nichts.»
Dann wurde es wieder still.
Haferkamp sah sich langsam um. Dagmar saß auf einem Hocker beim Fenster und starrte zu Boden, neben ihr stand Kai und hielt sie vorsichtig bei den Schultern. Rüdiger und Möller lehnten mit ausdruckslosen Gesichtern an der Tür, an der Wand Walterfang, dem unablässig die Tränen übers Gesicht strömten, aber er schien es gar nicht zu merken.
Jetzt hörte er Martinshörner, die Wagen näherten sich rasch. Mit bleischweren Gliedern erhob er sich und schleppte sich zur Terrassentür.
Zuerst der fuchtelnde Hausmeister, dann rannten
Weitere Kostenlose Bücher