Gnadentod
- sie hatte Krebs. Die Hodgkin-Krankheit. Die Ärzte haben gesagt, sie hätte gute Heilungschancen. Aber die Behandlung hat sie fertig gemacht. Bestrahlung, Chemo, das volle Programm. Die ganze Geschichte hat sie verändert. Es geht ihr prima, und ich weiß, ich sollte mir keine Sorgen machen, aber so Leid es mir tut, ich bin immer noch die fürsorgliche ältere Schwester. Was soll ich dagegen machen? Sie sollte mir wenigstens sagen, wo sie hinfährt, finden Sie nicht auch? Unsere Eltern leben nicht mehr, es gibt nur noch uns beide, und sie weiß genau, dass ich mir Sorgen mache.«
Sie zog ihr Hemd nach unten und starrte auf das Haus. »Ich weiß, das ist neurotisch. Wenn ich nach Hause komme, ist sicher eine Nachricht von ihr da - sagen Sie ihr nicht, dass Sie mich hier getroffen haben, okay? Sie würde stinksauer werden.«
»Abgemacht«, sagte Milo. »Also haben Sie keinen Hausschlüssel von ihr.«
»Sie meinen, wie andere Leute das manchmal machen? Das wäre nett, nicht wahr? Aber nein, ich würde nie nach einem fragen. Das würde Tanya nicht wollen.«
»Weil sie auf ihrer Unabhängigkeit besteht.«
Kris Lamplear nickte. »Wenn sie einen Schlüssel zu meinem Haus hätte, wäre das in Ordnung. Und ich bin verheiratet, habe Kinder, ich hätte nichts dagegen. Aber sie ist da sehr empfindlich. Sogar als sie ihre Therapie gemacht hat, war sie so. Sie hat jedem erzählt, sie könnte selbst für sich sorgen, man sollte sie nicht wie einen Krüppel behandeln.«
»Dann ist Paul also jemand, der die Zügel locker lässt«, sagte ich.
»Was meinen Sie damit?«
»Um mit Tanya auszukommen, müsste er ihre Unabhängigkeit respektieren.«
»Ich schätze schon«, sagte sie. »Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, warum sie mit ihm zusammenlebt. Vielleicht weil er für sie da war, als es ihr dreckig ging.«
»Als sie krank war?«, fragte ich.
Sie nickte. »So haben sie sich kennen gelernt. Tanya war wegen ihrer Chemo im Krankenhaus, und er hat dort ehrenamtlich gearbeitet. Er hat am Ende eine Menge Zeit mit ihr verbracht. Wenn sie das Essen nicht bei sich behalten konnte, hat er an ihrem Bett gesessen und sie mit Eisklümpchen gefüttert.«
Sie beschrieb zwar eine selbstlose Handlung, klang aber trotzdem missbilligend. »Netter Kerl«, sagte ich.
»Nehme ich an - ich habe mich immer gefragt, warum er das alles getan hat. Um ehrlich zu sein, er macht nicht den Eindruck von jemandem, der ehrenamtlich arbeitet - aber was soll’s, sie trifft ihre eigenen Entscheidungen.«
»Sie mögen ihn nicht«, sagte ich.
»Wenn Tanya ihn mag … Nein, um ehrlich zu sein, ich halte ihn für einen aufgeblasenen Trottel. Ich glaube, Tanya sieht das inzwischen ähnlich. Endlich.« Ihr Lächeln war zögernd, verschmitzt. »Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber sie nimmt ihn nicht mehr so in Schutz, wenn ich sage, dass er ein aufgeblasener Trottel ist.«
Ich lächelte ebenfalls. »In welchem Krankenhaus sind sie sich begegnet?«
»Im Valley Comprehensive in Reseda. Ein Saustall, wenn Sie mich fragen, aber ihre Krankenversicherung hat sie dorthin überwiesen. Warum stellen Sie mir all diese Fragen über Paul?«
Milo sagte: »Er und Ihre Schwester sind wichtige Zeugen.
In einem Mordfall müssen wir besonders gründlich sein. Arbeitet Paul immer noch ehrenamtlich in diesem Krankenhaus?«
»Nein. Sofort nachdem Tanya entlassen worden war und sie miteinander ausgingen, hat er damit aufgehört. Das fand ich seltsam.«
»Weswegen?«
»Ich habe mich gefragt, ob es nur eine Methode war, um Frauen anzumachen. Sie ist auf dem Wege der Besserung, und auf einmal verabreden sie sich miteinander. Zwei Monate später kündigen sie ihre Wohnungen und ziehen in dieses Haus.«
»Wie lange ist das her?«
»Über ein Jahr«, sagte sie. »Ich sollte nicht so schlecht über ihn reden, wo sie ihn doch mag. Er behandelt sie sehr gut. Er kocht für sie, putzt - macht alles sauber, in dieser Hinsicht hat sie das große Los gezogen. Er lässt keine Klamotten auf dem Boden herumliegen - er ist wirklich ordentlich, ein Ordnungsfanatiker, Tanyas Leben war meines Wissens noch nie so gut organisiert. Er kümmert sich sogar um Duchess - Tanyas Hund -, er bringt manchmal eine halbe Stunde damit zu, sie zu bürsten. Duchess mag ihn inzwischen. Anfangs hat sie das nicht getan, und ich dachte schon: Ja, genau, Tiere haben ein Gefühl dafür. Aber dann hat sie angefangen, ihn zu mögen, also dachte ich: Was weiß ich denn schon? Oder vielleicht sind Hunde gar
Weitere Kostenlose Bücher