Gnadentod
Steuer. Sie stellte den Motor ab und wollte gerade aussteigen, als sie uns sah. Augenblicklich schien sie nervös zu werden, und das Fenster auf der Fahrerseite glitt nach oben.
Milo war sofort auf der Straße, lief hinüber und präsentierte seine Marke. Das Fenster des Nissan blieb oben. Er zog seine Visitenkarte hervor, und ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, als sich schließlich die Scheibe senkte. Milo trat einen Schritt beiseite und ließ die Frau aussteigen. Sie sah zuerst mich an, dann Milo. Er hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und machte sich ein bisschen kleiner, wie immer, wenn er jemandem die Befangenheit nehmen will. Ich ging zu ihnen hinüber.
Die Frau war Mitte dreißig, leicht übergewichtig, und ihr braunes Haar war von rostroten Strähnen durchzogen. Unter ihren hellblauen Augen waren dunkle Ringe, und unter einem von ihnen hatte sich ein schwarzer Maskarafleck gebildet. Sie trug ein unförmiges weißes T-Shirt mit Kapuze, schwarze Leggings und schwarze flache Schuhe. Der hintere Teil des Wagens war mit Stoffmustern in Heftern angefüllt.
»Was ist los?«, fragte sie mit Blick auf das weiße Haus. »Wohnen Sie in der Nachbarschaft, Ma’am?«
»Meine Schwester wohnt hier. Auf der anderen Straßenseite.«
»Ms. Stratton?«
»Ja.« Ihre Stimme schraubte sich eine halbe Oktave höher. »Was geht hier vor?«
»Wir sind hergekommen, um Ihrer Schwester und Mr. Ulrich ein paar Fragen zu stellen, Ma’am.«
»Darüber, was passiert … darüber, dass sie Dr. Mate gefunden haben?«
»Hat Ihre Schwester mit Ihnen darüber gesprochen, Ms. …«
»Lamplear. Kris Lamplear. Klar, wir haben darüber gesprochen. Es war ja nicht gerade ein alltägliches Ereignis. Nicht über Details, Tanya war völlig außer sich. Sie hat mich angerufen und mir erzählt, dass sie … ihn gefunden haben. Gibt es ein Problem? Tanya hat schon so viel durchgemacht.«
»Inwiefern, Ma’am?«, fragte Milo.
»Sie war vor anderthalb Jahren krank. Deshalb bin ich hier. Sie war krank, und ich bin übertrieben besorgt. Das gefällt ihr nicht, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich versuche, mich ein wenig mehr zurückzuhalten, normalerweise reden wir nur zwei- bis dreimal pro Woche miteinander.
Aber ich habe seit einigen Tagen nichts von ihr gehört, deshalb habe ich sie am Freitag im Büro angerufen. Dort hat man mir gesagt, sie hätte sich ein paar Tage Urlaub genommen. Gestern habe ich mich nicht gemeldet, aber heute …«
Sie runzelte die Stirn. »Sie hat ihren Urlaub verdient, aber sie hätte mir sagen sollen, wo sie hinfährt.«
»Tut sie das normalerweise?«, fragte ich.
Sie warf mir ein dümmliches Lächeln zu. »Ganz ehrlich? Nicht immer, aber davon lasse ich mich nicht abhalten. Was soll ich sagen? Ich habe beschlossen, heute Morgen ganz früh vorbeizuschauen, weil meine Kinder in einer Stunde in der Little League spielen. Ich wollte nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Also gibt es kein Problem, Sie wollen nur mit ihr reden?«
»Das stimmt, nur ein paar zusätzliche Fragen, Ma’am«, sagte Milo. Er betrachtete die Stoffmuster. »Haben Sie mit Inneneinrichtung zu tun?«
»Textilbranche. Ich arbeite für einen Makler in der Stadt.« Sie warf einen weiteren Blick zum Haus.
Milo sagte: »Sieht so aus, als wären sie erst etwa einen Tag weg. Verreisen sie oft?«
»Von Zeit zu Zeit.« Kris Lamplears Blick schweifte unruhig umher. »Paul hat sie vermutlich irgendwohin auf einen seiner romantischen Ausflüge mitgenommen.«
»Ist er ein Romantiker?«
»Zumindest hält er sich für einen.« Sie verdrehte die Augen. »Er ist ja so spontan. Er kommt nach Hause und erklärt, sie würden jetzt für zwei Tage nach Arrowhead oder Santa Barbara fahren. Er sagt zu ihr, sie soll packen und sich krank melden. Tanya ist extrem gewissenhaft. Sie nimmt ihren Beruf sehr ernst, aber meistens kommt sie dann doch mit. Er ist selbstständig, deshalb ist es für ihn nichts Besonderes, sich freizunehmen. Er ist ein Naturliebhaber, fährt gerne Auto.«
»Naturliebhaber«, sagte Milo.
»Die freie Natur, er ist Mitglied der Tree People und im Sierra Club, er beobachtet Vögel und liest tatsächlich das Magazin vom Autoclub. Es war seine Idee, dass sie um diese Zeit schon oben am Mulholland Drive waren. Er bedrängt Tanya andauernd, früh aufzustehen, zu trainieren, all der Kram. Als wäre damit dann alles in Butter.«
»Was wäre dann in Butter?«
»Tanyas Gesundheitszustand«, sagte sie. »Dass ihre Besserung anhält
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