Gnosis
über Darians Bett war übersät mit feinen Rissen zahlloser Farbschichten.
Darian fehlte ihm. Es war schon komisch. Vor zwei Monaten hatte ihm sein einsames Leben noch gefallen. Doch jetzt war alles anders. So froh und glücklich er war, Teil dieser Organisation zu sein – neben Darian aufzuwachen war unvergleichlich. In diesem Moment klopfte es an der Tür.
«Herein.»
Er sah, wie sich der Knauf drehte. Samantha stand im Flur. Sie sah angespannt aus. Er spürte tiefe Trauer – der unheilkündende Geruch von saurer Milch stand mit einem Mal im Raum.
«Was ist passiert?», fragte er, warf seine Decke zurück und setzte sich auf.
«Ich muss Ihnen etwas zeigen.»
Eilig stieg er in eine Jogginghose und folgte ihr den Flur hinunter.
«Ist was mit Darian? Ist ihr was passiert? Die Kinder? Geht es ihnen gut?»
Samantha antwortete nicht. Er suchte in ihren Gefühlen nach einer Reaktion, doch ihre tiefe Trauer blieb unverändert. Nicht das leiseste Kräuseln. Sie gingen in ihr Büro. Der Raum, sonst so freundlich, schien ihm nun düster und unheilvoll.
Schweigend stellte Samantha den Fernseher an. Ohrenbetäubendes Rauschen kam aus dem Gerät, und Samantha regelte hastig die Lautstärke herunter. Dann schob sie eine unbeschriftete Kassette in den Videorekorder.
Man hörte etwas klicken, dann ein leises Surren, dann erschien ein ungerührter, grauhaariger Nachrichtensprecher.
«… am Hamilton Center. Wir schalten zu Sarah Sander, die live vor Ort ist. Sarah?»
Jetzt war eine brünette Reporterin zu sehen, die zu viel Make-up trug, hinter ihr ein Gebäude, das in Flammen stand. Gelblich rot leuchtete das Feuer vor dem rußschwarzen Nachthimmel.
«Danke, Jim!» Die Reporterin musste schreien, um gegen die Sirenen anzukommen. «Ich stehe hier vor dem Hamilton Center in Terre Haute! Wie Sie sehen, brennt das Gebäude lichterloh. Aufgrund einer Fehlfunktion im Sicherheitssystem sind alle 103 Patienten und 57 Mitarbeiter da drinnen eingesperrt! Die Rettungsmannschaften sind noch im Einsatz, aber es muss wohl davon ausgegangen werden, dass es keine Überlebenden gibt. Mehr zum aktuellen Geschehen, sobald …»
Samantha drückte auf die Fernbedienung, und der Bildschirm wurde schwarz. Samantha drehte sich um.
«Es tut mir so leid, Laszlo.»
«Was meinen Sie?», fragte Laszlo, der nicht verstehen wollte, was passiert war.
«Darian war dort, um einen kleinen Jungen abzuholen. Die beiden haben es nicht geschafft.»
«Nein», sagte Laszlo und schüttelte den Kopf. «Das können Sie unmöglich sicher wissen.»
«Es gibt keine Überlebenden.»
«Das kann nicht … nein … aber das kann nicht …»
«Es tut mir leid.»
Dann tastete sich Laszlos Verstand zu der erdrückenden Wahrheit vor.
Die erste und einzige Frau, die er je geliebt hatte … war tot.
Zwanzig Meter darunter starrte Darian die glatten weißen Wände ihrer Zelle an. Quälende Trauer durchzog die Leere wie ein Komet. Sie weinte.
KAPITEL 32
«Hat er es geglaubt?»
«Er war ein Wrack, als er nach Hause ging.»
«Sie haben ihn gehen lassen?»
«Keine Sorge. Wir haben ihn unter Beobachtung. Er kommt bald wieder.»
«Wieso sind Sie so sicher?»
«Er hat seinen Job gekündigt. Er hat seine Lieblingsschüler verloren. Er hat sonst nichts.»
«Morgen», sagte Elijah gutgelaunt.
«Hey», sagte Winter, die ihm gegenübersaß. Nach nur einer Woche hatte sich eine gewisse Routine eingestellt. Obwohl Elijah ein schräger Vogel war, mochte sie ihn ganz gern, aber ihr fehlten ihre Freundinnen. Immerhin war das, was sie lernten, tausendmal interessanter als alles, was selbst Mr. Kuehl ihnen zu erzählen hatte.
Eben wollte sie sich auf die Suche nach der Bedienung machen, als es aus Elijah herausbrach: «Ich hab schon für dich mitbestellt.»
Winter blinzelte überrascht. «Ach?»
«Du nimmst doch immer dasselbe, und da d-d-dachte ich, ich spar dir die Zeit.»
«Danke», sagte Winter. «Du bist süß.»
Elijah zuckte mit den Schultern und starrte verlegen zu Boden. Im Stillen verfluchte sich Winter. Sie hätte darauf achten sollen, was sie sagte. An der tänzelnden, leichtfüßigen Melodie, die Elijah umgab, merkte sie, dass er sie mochte. Und zwar nicht nur als Freundin. Er mochte sie. Sie sollte nichts sagen, was ihm falsche Hoffnungen machen könnte.
Um das Thema zu wechseln, sagte Winter: «Hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?»
«Soll das ein Witz sein? Wenn es nach meiner Mom ginge, würden wir vor und nach jeder Mahlzeit
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