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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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Kasten an der Wand und drückte ihn ein. Einen Moment war alles seltsam still, dann ging der Feueralarm los.
    Als die Sirene heulte, versuchte Darian, sich nach außen abzuschirmen und sich nur auf Elijahs nebelhafte Gelassenheit zu konzentrieren. Gemeinsam rannten sie zur Feuertreppe, dann inmitten von Putzkolonnen, Ärzten, Krankenschwestern und Patienten die Stufen hinunter aus dem Gebäude, das überhaupt nicht brannte.
     
    Darian wies den Taxifahrer an, sie zu dem Hotel zu bringen, in dem Elijah wohnte, wenn er in New York war.
    «Laszlo wartet dort auf uns», sagte sie.
    Elijah wollte eben fragen, wer Laszlo war, als er sich plötzlich an etwas erinnerte.
    «Ist Laszlo … blind?»

INTERLUDIUM V
23. MAI 2007 – 20:07 UHR (222 TAGE BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
     
     
    Nachdem sie von ihrem Schmerz berichtet und den anderen gelauscht hatte, sah Susan Collins die Welt mit anderen Augen. Zum ersten Mal schienen die Menschen um sie herum real zu sein. Sie sah sich um und wusste, dass hinter jedem Augenpaar eine Geschichte wartete, die genauso herzzerreißend war wie ihre.
    Valentinus räusperte sich, und es wurde still im Raum, da sich alle dem Mann zuwandten, der ihnen den menschlichsten Augenblick ihres Lebens beschert hatte. Valentinus blickte Susan in die Augen, und sie spürte Mitgefühl und tieferes Verständnis, wie nie zuvor.
    «Sie alle haben die Geschichten der anderen gehört», sagte Valentinus. «Kummer bestimmt Ihr Leben. Er formt Sie. Er verändert Sie.
    Und wenn auch jede Geschichte einzigartig sein mag, so waren es doch allesamt Tragödien, die sie grundlos erleiden mussten. Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Es ist einfach … passiert.»
    Susan merkte, dass sie nickte. Es stimmte. Zwar hatte es ihr schon immer gefallen, Männer zu provozieren, aber es war nicht ihre Schuld, dass sie an jenem Abend vergewaltigt wurde.
    Es war nicht ihre Schuld. Nein. Nein. Wirklich nicht.
    Sie wiederholte ihr Mantra im Stillen. Das tat sie zwar nicht zum ersten Mal, doch glaubte sie zum ersten Mal daran.
    «Wer von Ihnen glaubt an Gott?», fragte Valentinus plötzlich.
    Von den siebenundzwanzig Leuten, die im Kreis saßen, hoben fünfzehn die Hand. Susan rührte sich nicht. Valentinus sah sich einen Gläubigen nach dem anderen an.
    «Sagen Sie mir – wo war Gott, als Ihnen diese schrecklichen Dinge passiert sind?»
    Niemand antwortete. Traurig schüttelte Valentinus den Kopf.
    «Und was ist mit Ihnen, den Ungläubigen?», fragte er die anderen. «Glauben Sie ernsthaft, dass Gott nicht jeden Einzelnen von uns erschaffen hat? Dass Sie Ihren Verstand einem unwahrscheinlichen Irrtum der Evolution zu verdanken haben? Dass das Leben – Ihr Leben – nur ein Versehen ist?»
    Zwar war Susan katholisch aufgewachsen, doch glaubte sie schon lange nicht mehr an Gott. Vermutlich wäre sie wohl ohnehin irgendwann zu dieser Überzeugung gelangt, aber ein albtraumhaftes Kindheitserlebnis mit einem Priester hatte die Entwicklung noch beschleunigt. Ihre Indoktrination war jedoch viel zu stark gewesen, als dass Susan glauben konnte, das Leben sei einfach aus der Ursuppe entstanden.
    «Kein Wunder, dass dieses Land so zerrissen ist», sagte Valentinus. «Beide Theorien sind gleich schwach. Entweder glauben wir, Gott hat uns nach seinem Ebenbild erschaffen – wenn auch höchst unvollkommen. Ein Gott, der uns seit Jahrtausenden für diese Unvollkommenheit straft. Ein Gott, der Millionen an Hunger, Krankheit und Krieg sterben lässt. Ein Gott, der uns die Jugend schenkt, nur um sie uns zu nehmen, uns einsam sterben zu lassen, gefangen in altersschwachen Körpern.
    Oder aber wir stecken den Kopf in den Sand und bestehen darauf, dass wir uns allesamt durch eine Folge zufälliger Mutationen entwickelt haben. Wir können die zahllosen Wunder um uns herum ignorieren, im blinden Beharren darauf, dass das Leben sinnlos ist. Dass wir, wenn wir sterben, einfach verschwinden. Dass es keine Seele gibt. Dass das Leben keinen Sinn hat.»
    Valentinus erhob sich von seinem Stuhl.
    «Nun, für welchen Trugschluss entscheiden Sie sich? Haben Sie je wirklich darüber nachgedacht? Bei den meisten lautet die Antwort: nein. Man spielt mit, besessen von den absurdesten Fragen – welches Fernsehprogramm man sehen, welches Auto man kaufen will, wann man das nächste Mal befördert wird, welches College man besuchen möchte. Man kümmert sich um jedes noch so kleine Detail im Leben, nur nicht um die großen Fragen.
    Wozu sind wir

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