Gnosis
hier? Was ist der Sinn unseres Seins? Was passiert, wenn wir gestorben sind?
Für die Ungläubigen unter Ihnen, die meinen, diese Welt sei nur ein Versehen, haben diese Fragen keine Bedeutung. Sie glauben, wenn sie tot sind, war’s das einfach. Ihre Welt, ihr Leben, ihr Bewusstsein existiert einfach nicht mehr. Und doch leben die meisten Ungläubigen, als glaubten sie an ein Leben nach dem Tod. Sie fügen sich einem Moralkodex, den eine Religion einfordert, obwohl sie Religion doch eigentlich ablehnen: Du sollst nicht lügen. Du sollst nicht betrügen. Du sollst nicht stehlen.
Aber warum? Wozu sollte man ein ‹guter Mensch› sein, wenn es kein Leben nach dem Tod gibt? Warum sollte man sich nicht jedem verfügbaren hedonistischen Vergnügen hingeben? Ja, manche tun es. Doch die meisten Ungläubigen leben in Angst. Sie weichen nie vom rechten Weg ab.
Ihr Gläubigen aber … ihr seid die größeren Heuchler. Ihr pickt euch aus der Religion heraus, was euch gefällt, wie am kalten Büfett. Die ganze Zeit redet ihr euch ein, dass Gott gnädig ist und vermutlich nichts dagegen hat, wenn ihr seine Gebote missachtet – trotz der biblischen Beweise dafür, dass Gott schon beim leisesten Vergehen Rache nimmt.
Diese beiden gegensätzlichen Standpunkte sind gleichermaßen grotesk. Keiner von beiden ist wahr – weder als Glaubenssystem noch als Lebensweise.»
Valentinus schwieg und lächelte.
«Aber ich bin hier, um Ihnen die Wahrheit vor Augen zu führen. Ich bin hier, um Ihnen … etwas Besseres zu zeigen.»
KAPITEL 3
30. DEZEMBER 2007 – 23:27 UHR (25 STUNDEN, 33 MINUTEN BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
Winter staunte, dass sie sich in der Gesellschaft des blinden Mannes sofort wohl fühlte, als hätte sie ihn schon ihr ganzes Leben lang gekannt. Der Fahrstuhl kam zum Stehen, und die Türen glitten auf. Sascha sprang zuerst hinaus. Sie tappte über den blauen Teppich auf dem Gang, als wüsste sie, wohin sie wollte.
Laszlo hielt Schritt, eine Hand am Blindenhundgeschirr. Obwohl Sascha vorauslief, gab in Wirklichkeit Laszlo die Richtung vor.
Bei Zimmer 1408 blieben sie stehen.
Ein schlaksiger Mann mit wilden, roten Haaren öffnete. Er sah aus, als hätte er gerade einen Nervenzusammenbruch erlitten.
«S-s-sie sind Laszlo?», fragte der Verrückte.
«Der bin ich», sagte Laszlo. Er sprach leise und beherrscht, wie mit einem gefährlichen Tier. «Die hübsche, junge Dame zu meiner Linken ist Miss Winter Zhi. Und das hier ist Sascha.» Laszlo kraulte seinem Hund die Ohren.
«Bist du … Elijah?», fragte Winter und staunte über den Namen, der ihr plötzlich einfiel.
«Ja», sagte Elijah. «Kennen wir uns?»
Winter suchte nach einer Antwort. Obwohl sie sicher war, dass sie sich nie begegnet waren, kam er ihr irgendwie bekannt vor. «Ich … ich weiß nicht.»
Elijah konnte den Blick einfach nicht von dem blinden Mann und dieser rehäugigen Frau wenden. Noch bevor Laszlo Winter vorgestellt hatte, fiel ihm der Name ein, als kannte er sie aus einem anderen Leben. Die beiden standen noch draußen auf dem Flur, da zog Darian schon ihre Lederjacke über.
«Ich habe meinen Teil getan, Laszlo. Der Rest ist deine Sache.»
«Darian, warte!»
Darian blieb stehen und gab Laszlo einen flüchtigen Kuss. «Tut mir leid.»
Ohne noch einen Blick auf Elijah oder Winter zu werfen, zog sie die Tür leise hinter sich ins Schloss. Laszlo nickte, als hätte er nichts anderes erwartet, dann fragte er Winter: «Könnten Sie mir zu einem Sessel helfen?»
«Natürlich.»
Sie nahm Laszlo beim Arm und führte ihn zu einem übergroßen Lehnstuhl. Winter setzte sich auf die Couch, und Elijah zog einen Schreibtischstuhl heran. Plötzlich hatte Elijah ein Déjà-vu.
Nein. Kein Déjà-vu. Ihm kam eine Erinnerung.
Laszlo räusperte sich. «Es wird Zeit, dass ich Ihnen ein paar Dinge erkläre …»
Als Laszlo ihnen die ganze Geschichte erzählt hatte, wollte Winter etwas sagen, doch sie fand keine Worte. Plötzlich fügte sich eins zum anderen. Ihre Unfähigkeit, eine Verbindung zu einem Mann herzustellen, außer wenn sie sich berührten. Ihre Erfolge bei Konzerten. Die Besessenheit der Stalker.
Elijah starrte seine Hände an, die er zu Fäusten ballte und wieder löste, in einem Rhythmus, den nur er hörte. Winter sah Laszlo an und wusste nicht, ob sie ihm danken oder ihn verfluchen sollte.
«Was soll ich jetzt sagen?», brach es aus ihr hervor.
«Sie müssen überhaupt nichts sagen.» Laszlo antwortete mit
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