Gnosis
tot», sagte Winter leise.
«Nein …»
Darians Knie gaben nach. Elijah war neben ihr. Er fing sie auf und drückte sie an seine Brust.
«Ich hätte bei ihm bleiben müssen», stöhnte Darian. Sie konnte nicht glauben, dass es so weit gekommen war.
«Es ging alles so schnell», murmelte Elijah. «Sie hätten nichts für ihn tun können.»
Elijahs Stimme brach, und er musste weinen – wie Darian. Winter schreckte zurück, als sie Darians Trauer auch spüren konnte. Ihr Schmerz wurde kochend heiß. Winter wusste, wie sehr auch Elijah litt, wenn er sie so hielt. Wenn er ihre Haut berührte.
Winter wusste, dass weder Elijah noch Darian in der Lage wären, Initiative zu ergreifen. Sie musste die Sache in die Hand nehmen. Sie beugte sich über den bewusstlosen Polizisten, nahm ihm die Kette ab und steckte sie in ihre Tasche – wenn er aufwachte und sie weiter verfolgen wollte, würden sie ihn wenigstens spüren können. Sie legte die Hand auf Elijahs Schulter.
«Wir müssen irgendwohin, wo wir sicher sind.»
Weinend nickte er. Winter sah, dass er Darians Hand hielt. Eine Sekunde lauschte sie den Gefühlen der beiden, erschrocken und zugleich fasziniert von der knisternden Sinfonie der Trauer.
«Komm!», sagte Winter.
Sie packte Elijah beim Ärmel. Sie achtete darauf, dass sie seine Haut nicht berührte.
INTERLUDIUM VII
23. MAI 2007 – 21:51 UHR (222 TAGE BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
«Alle Religionen sprechen von der Unvollkommenheit der Welt, und alle finden Gründe. Niemand aber stellt diese Gründe in Frage. Das Alte Testament erklärt uns, Adam und Eva seien aus dem Paradies vertrieben worden, weil sie sich nicht an scheinbar willkürliches Gesetz halten wollten: Sie bissen in einen Apfel.
Glauben Sie denn wirklich, Gott würde die gesamte Menschheit wegen eines so geringfügigen Regelverstoßes verdammen? Wohl kaum.»
Valentinus erhob sich von seinem Stuhl. «Ein solcher Gedanke ist grotesk. Und doch lehrt man uns, so etwas zu glauben. Unsere religiösen Führer glauben tatsächlich daran, obwohl die Evolution längst bewiesen ist.»
Valentinus lief im Raum auf und ab.
«Nun nehmen wir einmal an, dass die Geschichte von Adam und Eva genau das ist und nichts anderes: eine Geschichte. Eine Allegorie für die Erschaffung des Menschen. Schließt das die Existenz eines allmächtigen Gottes ein?
Keineswegs. Die Evolution kann ohne weiteres neben der Schöpfungsgeschichte bestehen. Wissenschaft wird – und kann – der Religion nicht ihre Gültigkeit nehmen. Und doch: Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Bibel nur eine Sammlung von Geschichten ist, die uns helfen soll, Gott zu begreifen, ist das Leid in unserer Welt nicht zu übersehen. Also wollte Gott, dass wir leiden. Aber erscheint das plausibel?»
«Nein», murmelte Susan.
«Nein. Warum sollte er das tun? Warum sollte er eine solche Welt erschaffen?» Valentinus breitete die Arme aus. «Diese Welt voll unaussprechlichen Leids. Warum sollte er uns dazu verdammen, hier zu leben, seit der Ursünde verflucht, bevor wir überhaupt unseren ersten Atemzug getan haben?
Selbst die Natur ist voller Leid. Alle Lebewesen müssen anderes Leben vernichten, um sich zu erhalten. Wir sind buchstäblich gezwungen, zu töten, um in dieser höllischen Welt zu überleben. Dieser Planet voller ‹Werke Gottes› – Überschwemmungen, Feuer, Erdbeben und Wirbelstürme. Und da sitzen wir nun, sind uns unserer Umwelt schmerzlich bewusst, wie dafür geschaffen, allen Schmerz des Lebens zu empfinden.
Also frage ich noch einmal: Warum? Warum hat ‹Gott› eine solche Welt erschaffen? Alles nur, weil Adam in den Apfel gebissen hat?»
Eine Koreanerin stotterte ihre Antwort hervor: «Er hat Adam … und uns allen … den freien Willen geschenkt.»
Valentinus nickte. «Also haben wir uns das alles selbst zuzuschreiben?»
«So steht es im Alten Testament.»
«Aber wurden wir nicht nach Gottes Ebenbild erschaffen?»
«Ja», sagte die Frau.
«Woher kommen dann die ganzen Makel?»
Valentinus blieb stehen und wandte sich zu Susan um.
Die Antwort lag auf der Hand. Wenn alles Leben von Gott erschaffen war, stammten auch alle Makel …
«Von Gott», flüsterte Susan.
«Ja. Von Gott. Alle selbstsüchtigen Begehrlichkeiten und niederträchtigen Gedanken stammen von unserem illustren Schöpfer, nach dessen Ebenbild wir erschaffen wurden. Was also sagt uns das über ihn?»
Die Koreanerin sprach in die Stille hinein, mit ehrfurchtsvoller Stimme. «Gott …
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