Gnosis
er würde dort sein, im Zentrum des Geschehens.
Was er in Bewegung gesetzt hatte, war nicht mehr aufzuhalten. Seine Verhaftung und die Flucht würden für noch größere Panik sorgen, und noch mehr Blut würde fließen. Vielleicht würde er selbst sein Leben lassen müssen. Aber darauf war er eingestellt. Wenn es so kommen sollte, würde er die letzte Erkenntnis, seine Gnosis, annehmen und zum Einzig Wahren Gott heimkehren.
Reitend – auf dem Rücken einer Million toter Seelen.
Es ist 12:20 Uhr, und Sie hören NPR – National Public Radio.
Heute Mittag wurde der charismatische, unter dem Namen «Valentinus» bekannte Sektenführer verhaftet, nur wenige Stunden nachdem ein Blogger aus Manhattan den Plan der Sekte publik machte, um Mitternacht auf dem Times Square Massenselbstmord zu begehen.
Momentan ist die Stadtverwaltung uneins in der Frage, wie mit der heutigen Silvesterfeier umgegangen werden soll. Während manche Behörde die jährliche Gala absagen möchte, sprechen sich andere – darunter auch der Bürgermeister – dagegen aus.
Der Bürgermeister gab folgende Erklärung ab:
«Darauf zu warten, dass die Kugel fällt, hat in New York seit hundert Jahren Tradition. Wir haben die Feierlichkeiten nach dem 11. September nicht abgesagt und wollen uns auch jetzt nicht von derartigen Drohungen einschüchtern lassen.»
Dennoch soll die Polizeipräsenz heute Abend deutlich verstärkt werden. Das Rote Kreuz wird über hunderttausend Freiwillige zum Times Square schicken. Sie rufen alle Sektenmitglieder auf, sich an die eigens eingerichtete Hotline zu wenden – und zwar unter (212) 673-3000.
Noch ist unklar, wie viele von Valentinus’ Anhängern an der heutigen Feier teilnehmen werden. Offizielle Stellen sprechen von fünf- bis fünfzehntausend. Allerdings wurden bisher landesweit bereits über zwanzigtausend Vermisstenanzeigen von Familien der selbsternannten Gnostiker aufgegeben.
Valentinus befindet sich derzeit in Polizeigewahrsam.
Darian stellte das Radio ab.
Sie können ihn nicht aufhalten.
- Nicht mein Problem.
Darian schaltete in den fünften Gang, und der Wagen raste den Highway entlang.
«Scheiße!»
Sie riss das Lenkrad nach links, und der Porsche machte einen Satz auf den grünen Mittelstreifen. Sie trat die Bremse, schleuderte herum und blieb in entgegengesetzter Fahrtrichtung stehen. Dann legte sie den ersten Gang ein und gab Gas.
Der Wagen rumpelte über den Grünstreifen. Sie konnte das Erstaunen der anderen Autofahrer spüren, als sie wieder auf den Highway fuhr und dabei nur knapp einen schwarzen Geländewagen verfehlte.
Sie hoffte nur, sie würde es schaffen, bevor Valentinus das Hauptquartier der Polizei in einen Friedhof verwandelte.
KAPITEL 14
31. DEZEMBER 2007 – 14:47 UHR (9 STUNDEN, 13 MINUTEN BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
Valentinus saß kerzengerade auf dem kalten Metallstuhl. Der Verhörraum roch nach Schweiß, Kartoffelchips und verbranntem Kaffee. Hinter ihm war ein vergittertes Fenster, vor ihm ein Spiegel, so breit wie die ganze Wand.
Jeder Einzelne dort hinter dem Spiegel kämpfte gegen die Angst. Valentinus nahm ihre Emotionen in sich auf. Mit geschlossenen Augen spürte er die helle Flamme der Wut. Vermutlich gefiel es ihnen nicht, ihn so gelassen zu sehen.
Die Tür knarrte in den Angeln. Valentinus rührte sich nicht. Der Mensch, der eingetreten war, roch leicht nach Himbeeren. Träge schlug er die Augen auf und betrachtete die Frau, die vor ihm stand.
Auf den ersten Blick wirkte sie jung, doch Valentinus konnte das Make-up sehen, das die kleinen Fältchen um Augen und Mund verdecken sollte. Dennoch war sie attraktiv mit ihrer athletischen Figur in dem strengen blauen Blazer. Ihr dunkelblondes Haar war kurz und stand stachlig vom Kopf ab.
«Ich bin Special Agent Bennett, FBI», sagte sie und setzte sich. «Ich gehöre einer Task Force an, die Ihre Organisation schon eine Weile beobachtet. Was Sie auch vorhaben mögen: Entweder wissen wir es schon, oder wir werden es bald erfahren. Je schneller Sie also meine Fragen beantworten, desto einfacher wird das Ganze.»
Valentinus sah direkt in ihr Bewusstsein. Sie war selbstsicher, aber ihr Selbstvertrauen sollte nur ihre drückende Angst kaschieren.
«Würde es Sie überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass wir schon seit Monaten einen Insider haben?»
Valentinus lächelte über die offensichtliche Lüge. «Ja, das würde mich in der Tat überraschen.»
Bennett zog die Augenbrauen hoch, als
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