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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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das Klacken hoher Absätze. Da erkannte Valentinus’ Geist, wer ihn besuchen kam, und er stöhnte auf. Zum ersten Mal seit er sich erinnern konnte, bekam er Angst.
    Sie blieb vor seiner Zelle stehen. Mit steinerner Miene versuchte sie, Selbstvertrauen auszustrahlen, aber er sah sofort ihre leise Furcht. Furcht … und unbändigen Zorn.
    «Hallo, Valentinus.»
    «Hallo, Darian.»
     
    Schweigend standen sie sich fast eine Minute gegenüber. Darian baute einen Schutzschild auf, und Valentinus tat es ihr gleich. Helle Farben leuchteten auf – stechend gelber Schmerz, klebrig orangefarbene Trauer, rotes Entsetzen, eisig violette Freude, weiße Euphorie, grüne Furcht, petrolfarbener Zorn.
    Darian hatte Valentinus unter Kontrolle, und ein kurzer Moment der Ruhe trat ein – dann griff sie an. Sie versuchte, ihn zu packen. Doch jedes Mal wenn sie dachte, dass er sich ihrem Willen beugen würde, entglitt er ihr wieder wie ein Stück Seife. Sie sammelte ihre Kräfte und machte sich bereit, ihn zu …
    Valentinus hob die Hände. «Feuerpause.»
    Darian hielt die Luft an. Sie rührte sich nicht, bereit, einen neuen Angriff abzuwehren.
    «Ganz ruhig», sagte er. «Ich will nur reden.» Valentinus trat direkt an das Gitter. «Ich lüge nicht. Sieh selbst.»
    Der glatte, harte Schild um Valentinus’ Geist löste sich auf. Darunter war nur stachlige Angst und glibberiges Selbstvertrauen. Aber keine Hinterlist. Dennoch fürchtete sie, dass er sie in die Falle lockte. Sie traute ihm nicht, aber wenn sie etwas in Erfahrung bringen wollte, blieb ihr keine Wahl. Langsam atmete sie aus.
    «Also», sagte Valentinus. «Wie geht’s so?»
    «Kann nicht klagen», sagte Darian. «Und du?»
    «Ach, weißt du … muss ja.»
    Unwillkürlich musste Darian lächeln. Valentinus war der einzige Empathiker, der wie sie seine Gabe genoss. Nicht wie Winter oder Elijah, die sich vor ihren Kräften versteckten wie Welpen vor einem Gewitter. Oder Laszlo, der seine Gabe erduldet hatte wie ein Kreuz, das er zu tragen hatte.
    Von allen war dieses Kind, das jetzt ein Mann war, ihr am ähnlichsten.
    «Warum bist du hier?», fragte Valentinus.
    «Komische Frage angesichts der Tatsache, dass du mir diesen Irren auf den Hals gehetzt hast, damit er mich umbringt.»
    Valentinus zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: Versuchen kann man es ja mal. «Nimm’s nicht persönlich.»
    Darian merkte, wie sie lachen musste, doch da zuckte sie zusammen, als sie plötzlich merkte, dass die Verbundenheit, die sie empfand, nur Valentinus’ Projektion war. Sie versuchte, sich zu wehren.
    «Ist das alles nur ein Spiel für dich?»
    «Nein», sagte Valentinus. «Eine Religion.»
    «Glaubst du wirklich, was du predigst? Oder ist das ein Mittel zum Zweck?»
    «Natürlich glaube ich daran.»
    Darian sah seine Freude. Er glaubte tatsächlich an das, was er verbreitete. Sie fragte sich, ob dieser Umstand die Sache einfacher machte.
    «Wenn du an einer meiner Sitzungen teilnimmst, wirst du auch daran glauben.»
    «Du hast sie manipuliert», sagte Darian. «Du zwingst sie, dich zu lieben.»
    «Ich kann niemanden so manipulieren, dass er etwas tut, was er absolut nicht tun will. Habe ich ein wenig nachgeholfen? Ja. Habe ich jemanden gezwungen? Nein.»
    «Was versprichst du dir eigentlich davon?»
    «Das, was wir alle wollen», sagte Valentinus. «Seelenfrieden.»
    «Und wie können dir ein paar tausend Selbstmorde dabei helfen?»
    «Wer sagt, dass sie Selbstmord begehen?»
    Darian neigte den Kopf ein wenig. «Was hast du in diese Fläschchen getan?»
    «Nichts Tödliches – im Gegensatz zur allgemeinen Ansicht.»
    Darian spürte keine Hinterlist, nur dunstiges Zutrauen, das wie leichter Regen auf ihrer Haut prickelte. Und doch verbarg er irgendwas. Darian änderte ihre Taktik.
    «Warum hast du Laszlo umgebracht?»
    Valentinus zuckte zusammen. Er holte tief Luft. Darian spürte, wie sein Wille, sich zu kontrollieren, und sein Zorn miteinander rangen. Schließlich atmete er aus.
    Sie konnte seine Wut noch spüren, aber äußerlich war er ganz ruhig.
    «Nach allem, was mir Laszlo angetan hat, kann er sich freuen, dass es schnell gegangen ist.» Valentinus sah sie nur an. «Warum bist du hergekommen? Willst du Antworten … oder willst du mich umbringen?»
    Bevor Darian ein falsches Gefühl projizieren konnte, hatte er schon ihre Unsicherheit gespürt.
    «Ich kann es dir nicht verdenken», sagte Valentinus. «Aber du machst einen Fehler, wenn du die Toten heute Abend verhindern

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