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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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Grimes.
    Hin und wieder kurbelte Winter ein Fenster herunter, um etwas kühle Luft hereinzulassen, aber Grimes beklagte sich jedes Mal über den Lärm. Zunächst hatte es wie eine gute Idee ausgesehen, sich mit SpyGurls Presseausweis einen Stellplatz zwischen den zahllosen Ü-Wagen der Fernsehsender zu ergattern. Das war allerdings, bevor sie am Times Square angekommen waren und Elijah aus erster Hand erfuhr, was eine ausgewachsene Menschenmenge war.
    Er kniff die Augen zusammen und versuchte, sich gegen die Welt abzuschotten, aber es gab kein Entrinnen. Alle paar Minuten rempelte ein Besoffener gegen den Van, dass Elijah zusammenzuckte. Und er konnte sie fühlen. Eine Million Stimmen – gedämpft durch die Windschutzscheibe, doch das Glas hielt die pulsierenden Emotionen nicht ab.
    Zwar trug er die Silberkette, doch Elijah sah die blitzenden Farben selbst mit geschlossenen Augen. Es war eine Qual. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen …
    Doch, es gibt etwas Schlimmeres. Du könntest auch da draußen sein. Mitten im Gedränge.
    Elijah atmete tief durch und versuchte, sich einzureden, dass es so weit nicht kommen müsste. Dass sie hier waren, war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Stevie würde den Virus aktivieren, die Handymasten ausschalten, und das war es dann. Keine Rauchbomben, keine Panik, kein Aufruhr, keine Toten.
    Elijah blinzelte und schlug die Augen auf. Irgendwie war die unüberschaubare Menge noch dichter geworden. Er spürte förmlich, wie der Van im Rhythmus der Menge wankte.
    «Scheißdreck, verdammter!»
    «Gibt’s ein Problem?», fragte SpyGurl und drehte sich zu Grimes um.
    «Ich hab ‘ne Wanze, aber ich kann sie nicht finden.»
    «Soll ich dir helfen?»
    «Klar!», sagte Grimes sarkastisch. «Allerdings … ach ja, stimmt – du hast gar keine Ahnung, was du suchst!»
    «Ich wollte doch nur …», keifte SpyGurl, bevor Winter ihr über den Mund fuhr.
    «Stevie, kannst du den Virus rechtzeitig losschicken oder nicht?»
    Grimes sah auf seine Uhr und seufzte.
    «Ich weiß nicht. Vielleicht. Aber ich würde nicht mein Leben darauf verwetten. Oder das von irgendwem sonst.»
    Elijah starrte durch die Windschutzscheibe. Falls Stevie den Virus nicht aktivieren konnte, würden Winter und er die Menge im Alleingang aufhalten müssen. Und dann hatte er keine Wahl.
    Er musste aussteigen.
     
    Der Wind schlug Elijah eiskalt ins Gesicht. Es war vielleicht fünf Grad unter null, aber im Wind fühlte es sich viel kälter an.
    Ohren und Nase taten ihm weh. Selbst seine Finger im Handschuh, tief in der Jackentasche, wurden kalt. Mit der Rechten hielt er Winters Hand wie ein Ertrinkender, der sich an eine Rettungsinsel klammerte. Und genau das war sie auch – seine Rettungsinsel.
    Er würde auf der Stelle tot umfallen, wenn sie nicht bei ihm wäre.
    Er rang seine kreischende Angst nieder und versuchte, sich auf die Ruhe und Gelassenheit zu konzentrieren, die ihm Winter eingab. Dennoch schrie die Panik in seinem Kopf, hielt sein Herz mit eiserner Hand und überzog ihn mit eisigem Schweiß. Er versuchte zu schlucken, aber seine Kehle war wie ausgetrocknet.
    Um ihn herum war ein solcher Höllenlärm, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Der Playbackgesang eines blonden Teeniestars dröhnte aus riesigen Lautsprechern. Während sie auf der nahen Bühne die Hüften kreisen ließ, heulte in ihrem Rücken eine Punkband und trug mit schneidenden Gitarren und wummerndem Bass einiges zum Lärm bei.
    Elijah schnappte nach Luft und sah sich in der feuchtfröhlichen Menge um. Er versuchte, den Wahnsinn zu begreifen.
    Erstens waren da die Pulks von betrunkenem Partyvolk. Manche trugen übergroße Plastikbrillen in Form einer 2008, andere hatten komische Kopfbedeckungen – Baskenmützen, Pappkappen, Plastikkronen und ein paar sogar rot-weiß gestreifte Zylinder wie die Katze mit Hut. Viele schwangen ihre Rasseln, als sollte die Welt untergehen. Fast jeder hielt einen Drink in der Hand – in braunen Papiertüten versteckt oder in Thermosflaschen.
    Das zweite Kontingent verhielt sich erheblich ruhiger – Elijah erkannte Valentinus’ Jünger. Nirgendwo sonst hätte man die Sektenmitglieder bemerkt. Hier jedoch, inmitten der betrunkenen Menge, stach die stille Glückseligkeit der Gnostiker deutlich heraus.
    Sie standen in kleinen Gruppen zu dritt oder zu viert beisammen. Viele hielten sich bei den Händen wie Schulkinder auf dem Weg über die Straße. Trotz seiner Silberkette bedrängte ihn die psychische

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