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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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sanftes Legato und abruptes Stakkato. Die Melodien übertrafen alles, was sie sich je erträumt hatte, und gingen wunderbar harmonisch ineinander über.
    Doch waren es nicht nur die Sonaten, Kanons und Konzerte, deretwegen ihr das Herz fast stehenblieb. Es lag an der Intensität der Töne. Sie alle klangen makellos, jeder einzelne ein Meisterwerk, neben dem alles, was sie in ihrem Leben gehört hatte, glanzlos erschien.
    Während Winter lauschte, fasziniert von Valentinus’ Kraft, begriff sie die Akkorde um sich herum – ein Moment der Klarheit inmitten des Wahnsinns. Als Erstes hörte sie seine beschwingten Melodien heraus, in Oktaven, unisono. Darin verwoben waren seine Jünger mit unendlich komplexen Harmonien.
    Es waren Zehntausende. Sie sah, wie die dissonanten Akkorde der Menge wie eine gewaltige Welle über sie hinweg zu Valentinus gingen und er die Empfindungen in sich aufsog.
    Er erlebt, was sie erleben. Das ist seine Gnosis.
    Genau das wollte Winter eben Elijah erklären, da hörte sie noch etwas anderes. Ein neues Lied, klarer als alle anderen Melodien, und sie war überwältigt von der quälenden Schönheit. Das Lied übertönte die anderen. Einen Moment empfand sie Angst, doch die zauberhafte Melodie vertrieb alle Bedenken, und ihr Herz lächelte vor Begeisterung.
    Und dann tat Valentinus etwas völlig Unerwartetes. Er zeigte auf sie und winkte sie zu sich auf die Bühne.
    «Winter! Halt! Warte!», schrie Elijah, doch sie hörte nur die kristallenen Klänge in ihrem Kopf.
    Überwältigendes Verlangen packte sie.
    Vorzutreten und sich Valentinus anzuschließen. Ihn zu berühren. Bei ihm zu sein.
    Ohne sich umzusehen, drängte sie nach vorn und schob die Leute beiseite, um zu dem Mann zu gelangen, den sie so sehr liebte.
    Valentinus.

KAPITEL 21
31. DEZEMBER 2007 – 23:50 UHR (10 MINUTEN BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
     
     
    «Hör auf, dauernd auf die Uhr zu starren», sagte Grimes. «Du gehst mir echt auf die Nerven.»
    «Aber es ist fast …»
    «Ich weiß, ich weiß! Was meinst du, wieso da oben dieser Countdown läuft?» Grimes deutete auf die Uhr in der linken oberen Ecke des Bildschirms, die rasend schnell auf Mitternacht zuhielt.
    «Kann ich irgendwas tun?»
    Grimes hörte auf zu tippen und sah sie an. «Wenn du mich so fragst, ja.»
    «Toll, was denn?»
    «Hör auf zu quatschen. So wie er zum Beispiel …», sagte Grimes und deutete auf Dietrich, der seit fast zehn Minuten schweigend dasaß.
    «Ich wollte doch nur helfen », murmelte SpyGurl beleidigt.
    «Auch Murmeln gilt als Quatschen», sagte Grimes, ohne aufzublicken. SpyGurl grummelte noch etwas, doch ging es im Geklapper der Tasten unter, während Grimes die letzten Parameter einstellte.
    Da seine Idee auf Viren basierte, die Adressenlisten von Computern herunterluden und dann infizierte E-Mails verschickten, funktionierte Grimes’ neues Baby (das er auf den Namen Family Jewels taufte) ähnlich wie ein Computervirus, doch Jewels infizierte Mobiltelefone.
    Das Schöne war, dass Jewels wie ein ganz normaler Anruf von einem Freund aussah. Deshalb wurde er fast immer angenommen und verbreitete den Virus.
    Allerdings musste derjenige, der den Anruf entgegennahm, so lange am Telefon bleiben, dass der Code übermittelt werden konnte. Daran hatte Grimes bereits vor Monaten gearbeitet. Er hatte den Virus komprimieren wollen, doch dauerte die Übertragung immer noch mindestens dreizehn Sekunden. Und niemand lauschte so lange dem Knistern in seinem Handy, ohne aufzulegen.
    Da wurde ihm klar, dass er das Problem falsch anging. Statt sich darauf zu konzentrieren, den Virus kürzer zu machen, musste er die Leute dazu bewegen, länger am Telefon zu bleiben. Wochenlang hatte er mit unterschiedlichen Sprüchen experimentiert, die man abspielen konnte, während der Virus heruntergeladen wurde, um herauszufinden, bei welcher am meisten Zeit zwischen Abnehmen und Auflegen verstrich.
    Am besten funktionierte: «Bitte, bitte nicht auflegen! Man hat mich entführt und in einen Kofferraum geworfen! Moment – ich glaub, da kommt jemand!»
    War der Virus erst heruntergeladen, gab er der nächstgelegenen Basisstation Anweisung, alle Nummern aus dem Adressbuch des Handys gleichzeitig anzurufen. Da die meisten Leute durchschnittlich 80 Nummern gespeichert hatten, verbreitete sich der Virus wie die Pest. Erst waren es 80 Leute. Dann 6400. Dann 512.000. Dann 40.969.000.
    Und alles in unter zwei Minuten. Das Problem war nur, dass der Virus die Basisstationen

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