Gnosis
an, tat jedoch, als bemerkte er ihn nicht.
«Wo bin ich?»
Der Arzt schrieb weiter.
«Was ist hier los?»
Noch immer sah der Arzt auf sein Klemmbrett, doch seine Hand bewegte sich nicht mehr. Pater Sullivan stellte fest, dass der Mann offenbar mit seinem Gewissen rang. Ein Gesichtsausdruck, den Pater Sullivan schon öfter gesehen hatte.
«Bitte, reden Sie mit mir!» Pater Sullivans Stimme brach, als ihm eine vage Erinnerung an die Ereignisse der letzten Stunden – oder waren es Tage? – kam. Man hatte ihn in den Kofferraum eines Autos geworfen …
«Ich flehe Sie an, mein Sohn!»
Der Arzt ließ das Klemmbrett sinken und sah Pater Sullivan in die Augen. Die untere Hälfte seines Gesichts war von einer Operationsmaske verdeckt, doch die wässrigen Augen des Arztes verrieten dem Priester alles, was er wissen musste. Er hatte Angst.
«Wir müssen ein paar Tests durchführen, Pater», sagte er. «Sobald wir damit fertig sind, können Sie wieder gehen. Jetzt beruhigen Sie sich bitte.»
«Was sind das für Tests?»
Der Arzt ignorierte seine Frage und kam um den Tisch herum. Er schob eine Hand unter Pater Sullivans Nacken und hob den Kopf des Priesters leicht an, um ihn auf eine Art Kissen zu betten. Pater Sullivan konnte jetzt weder nach rechts noch nach links blicken, da das Kissen so weit neben ihm aufragte, dass es ihm die Sicht versperrte.
Der Arzt zog einen Lederriemen über Pater Sullivans Stirn und schnallte ihn fest.
«Was haben Sie vor?»
«Mund auf, bitte!»
Pater Sullivan wagte nicht, sich zu widersetzen, und tat, was man von ihm verlangte. Unsanft schob ihm der Arzt ein dickes, weiches Stück Plastik zwischen die Zähne.
«Damit Sie sich nicht die Zunge abbeißen», bemerkte der Arzt nüchtern.
Er schnallte einen zweiten Riemen um das Kinn des Priesters.
«Ich muss jetzt einen Einschnitt in Ihrem Schädel vornehmen. Ich kann Ihnen keine Betäubung geben, weil die Chemie Ihres Körpers sich sonst verändern würde. Es wird nicht länger als eine Stunde dauern. Versuchen Sie, sich nicht zu bewegen, denn das würde die Operation nur unnötig in die Länge ziehen. Leider wird es wehtun.»
Pater Sullivan hörte ein Surren. Dann sah er den Bohrer. Er wollte schreien, doch das Mundstück ließ nur ein ersticktes Stöhnen zu. Der Arzt hielt ihm den Bohrer an den Schädel. Und dann hatte Pater Sullivan auch allen Grund zum Schreien.
KAPITEL 17
Für Laszlo waren die folgenden zwei Monate wie ein Traum. Darian und er passten so gut zusammen, wie ihre erste Liebesnacht hatte vermuten lassen. Und sie schien das genauso zu sehen.
Sie verstand ihn fast so gut wie er sie. Sie ahnte, was er sagen wollte, bevor er es aussprach. Sie konnten wunderbar miteinander schweigen – was vielleicht sonst angespannte Stille gewesen wäre, war bei ihm und Darian irgendwie magisch.
Je näher sich die beiden allerdings kennenlernten, desto weniger schien Darian sich für Laszlos Berufsleben zu interessieren. Sie nahm nicht mehr am Unterricht teil. Häufig verschwand sie einfach ohne Erklärung. Obwohl sie eine derart intensive Beziehung führten, sah er sie während der Woche kaum, da sie immer beruflich unterwegs war. An den wenigen Abenden in der Woche, an denen sie zu ihm kam, war sie immer fix und fertig, wie eine Studentin kurz vor dem Examen. Wenn er sie fragte, was denn los war, sah Darian ihn nur mit ihren Katzenaugen an und sagte:
«Sag mir, wer du bist, und ich sage dir, wer ich bin.»
Damit war das Gespräch beendet. Er wusste, dass sie ihm alles über ihr Tun erzählen würde, wenn er ihre Fragen beantwortete. Doch dazu war er nicht bereit. Und somit hütete jeder sein Geheimnis.
Eigentlich hätte Laszlo sich Sorgen machen müssen. Doch bei Darian fühlte er sich sicher. Da sie beide zugaben, Geheimnisse voreinander zu haben, begegneten sie sich auf Augenhöhe. Keiner konnte auf den anderen Druck ausüben, ohne dass der Druck sofort auf ihn zurückgefallen wäre.
Erstaunlicherweise schien dieser Umgang nach einer Weile fast normal. Weshalb sollte Darian nicht auch etwas für sich behalten, wenn Laszlo sein Leben lang ein Geheimnis gehütet hatte? Außerdem war es Laszlos Entscheidung. Wenn er sich ihr anvertrauen wollte, dann würde sie sich ihm öffnen. Worüber also wollte er sich beklagen?
Er verdrängte seine Zweifel und konzentrierte sich lieber darauf, dass er sich glücklich schätzen konnte, eine so faszinierende Frau gefunden zu haben. Auf sonderbare Weise fühlte er sich ihr durch die
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