Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
Telamon.
    »Wieso hast du es trotzdem getan?«
    Telamon holte tief Luft. »Er ist mein Freund.«
    »Er ist ein Fremdling und ein Dieb!«
    »Aber – warum werden Fremdlinge verfolgt? Das ist nicht richtig.«
    »Erzähl du mir nicht, was richtig ist oder nicht!«, schäumte sein Vater prompt. »Von dir will ich lediglich hören, wohin er gegangen ist.«
    Telamon hob trotzig das Kinn. »Das – das kann ich dir nicht sagen.«
    »Du kannst nicht oder du willst nicht?«
    »Ich will nicht.«
    Der Stammesfürst musterte seinen Sohn forschend und hob schließlich ergeben die Hände. Dann ging er langsam zu seinem grünen Marmorsitz hinüber und warf sich hinein. Die beiden bemalten Löwen, die den Sitz flankierten, begrüßten ihn mit stummem Brüllen.
    Außer Telamon und seinem Vater befand sich niemand in der nach kaltem Weihrauch duftenden großen Halle von Lapithos. Die Stimmung war so angespannt, dass selbst die Mäuse zwischen den Sparren keinen Mucks von sich gaben. Gelegentlich drang das schlappende Geräusch von Sandalen herein, aber niemand wagte sich näher heran. Thestor war ein freundlicher Mann und hob nur selten die Stimme. Wenn er einmal in Wut geriet, musste es einen guten Grund dafür geben.
    Telamon blickte seinen Vater über die gewaltige Feuerstelle in der Mitte des Raumes hinweg an. Das pulsierende, zwei Schritte breite Meer aus glühender Asche war eingefasst von vier mächtigen Säulen, deren schwarz-gelb bemalte, zickzackförmige Schnitzereien an gereizte Wespen erinnerten.
    Das Feuer darin war seit Generationen nicht erloschen. Ein Kreis aus gemalten Flammen umgab die Herdstelle, und als kleiner Junge war Telamon gern um das Feuer herumgekrabbelt, während Thestor im Kreis seiner Männer getrunken, die Frauen in den oberen Räumen beim Weben geschwatzt und die großen Hunde träge mit den Schwänzen den Boden gepeitscht hatten.
    Dessen Mosaik hatte es Telamon als Kind besonders angetan; er kannte jedes der roten und grünen Muster, die die bösen Geister fernhielten, in- und auswendig. Doch nun erschienen sie ihm in seiner Erschöpfung wie wilde Wirbel.
    »Stellt dem Jungen einen Stuhl hin, sonst kippt er noch um!«, knurrte Thestor.
    Ein Sklave hastete herein, platzierte einen Stuhl vor Telamon und machte sich rasch wieder davon.
    Doch Telamon war zu stolz, um sich zu setzen. »Ich habe getan, was ich tun musste.«
    Sein Vater blickte ihn finster an.
    Aber das war die Wahrheit. Er hatte Hylas zur Flucht verholfen und die Krieger von seinem Freund abgelenkt. Er hatte sogar den Wagen zurückgebracht – zumindest das, was noch davon übrig war – und auch den armen Nyx, den er völlig verloren und mit einem Stein im Huf unter einem Tamariskenbaum entdeckt hatte. Von Pyros gab es noch keine Spur und das bedeutete hoffentlich, dass Hylas sich auf dem Weg zur Küste befand.
    »Warum sind sie hinter den Fremdlingen her?«, fragte er seinen Vater.
    »Warum ist er dein Freund?«, gab der zurück. »Ist er dir wichtiger als deine Familie?«
    »Natürlich nicht!«
    »Warum bist du dann mit ihm befreundet?«
    Telamon biss sich auf die Lippen. Vielleicht waren sie Freunde, weil sie so verschieden waren. Während er selbst sich tagelang über eine Beleidigung ärgern konnte, war es Hylas vollkommen gleichgültig, was andere über ihn dachten. Warum hätte es ihn auch kümmern sollen, wenn alle sowieso nur auf ihn herabsahen? Hylas war rücksichtslos und selbstbewusst, zwei Eigenschaften, um die ihn Telamon insgeheim beneidete. Außerdem hatte Hylas keinen Vater, dessen Erwartungen er erfüllen musste.
    Aber Thestor würde keine dieser Erklärungen verstehen.
    Der Stammesfürst stützte die Ellbogen auf die Knie und rieb sich das Gesicht. Seine scharlachrote Tunika war staubig, er wirkte müde und verhärmt.
    Telamon verspürte plötzlich tiefe Zuneigung zu seinem Vater und leisen Zorn auf Hylas, weil er zwischen ihnen stand. Hylas war zwar sein Freund, aber er würde niemals begreifen, dass man als Sohn des Stammesfürsten ständig zwischen Freundschaft und Blutsbanden hin- und hergerissen war.
    Hylas hatte keine Ahnung davon, wie Telamon lebte. Er hatte niemals die Malereien an den Wänden gesehen, auf denen die Ahnen Eber aufspießten und Feinde überwältigten. Er hatte bestimmt noch nie mit Bronzenieten beschlagene Türen, Marmorbecher oder gar Gold zu Gesicht bekommen. Selbst Treppen oder ein Bad waren ihm vermutlich unbekannt, und er konnte daher auch nicht wissen, dass Telamon, wenn er seinen Freund

Weitere Kostenlose Bücher