Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt

Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt

Titel: Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Revis
Vom Netzwerk:
Ihnen.«
    »Bin nicht krank!«, brüllt der Alte. Sofort danach werden seine Augen ganz glasig. Seine Atmung beruhigt sich und er sackt unter der Last seiner Kleidung zusammen. Als Doc die Hand wegnimmt, sehe ich auch, wieso: Er hat ihm ein Medipflaster verpasst. Das lavendelfarbene Pflaster auf dem Arm des alten Mannes hat ihn so weit beruhigt, dass er keinen Widerstand mehr leisten kann.
    Doc wirft mir ein triumphierendes Lächeln zu, während er dem alten Mann in einen Rollstuhl hilft und ihn dann von einer Schwester in den Aufzug schieben lässt. Ich schlucke schwer. Doc ist ein guter Mann, aber seine Antwort auf alles sind immer nur Medikamente. Er mag keine Emotionen. Er zieht es vor, wenn alles ruhig und unter Kontrolle ist.
    Deswegen ist er dem Ältesten so ähnlich. Die beiden denken auf dieselbe Weise.
    »Und was führt dich her?«, fragt Doc, nachdem der alte Mann sicher im Aufzug verstaut und auf dem Weg zu seiner Behandlung ist.
    Ich scharre mit der Schuhspitze auf dem glatten Fliesenboden herum. Ich kann ihm unmöglich sagen, dass ich gekommen bin, um den geheimen Aufzug im vierten Stock zu erforschen. Ich weiß nicht einmal, ob ich Orion glauben kann, dass es diesen Aufzug überhaupt gibt.
    »Dachte, ich besuche Harley«, sage ich schließlich.
    Doc runzelt die Stirn. »Wenn du ihn findest, schick ihn sofort zu mir. Harley hätte schon längst seine Medikation bekommen müssen.« Er wirft einen Blick auf die Uhr über der Aufnahme. »Apropos, hast du deine schon genommen?«
    Ich werde rot. Stolz bin ich nicht gerade auf das Jahr, das ich dort verbracht habe. Auf der Station im dritten Stock. Der Psychiatrie. Ich glaube, das Zusammenleben mit den Bauern hat mich dorthin getrieben. Als ich klein war, ging es noch einigermaßen, aber je älter ich wurde, desto mehr hatte ich das Gefühl, anders zu sein. Ich konnte mich einfach nicht so für Kühe oder die Ernte begeistern wie sie.
    (Ich weiß noch, als Doc mir die ersten Medikamente gegen Depressionen gab, habe ich gefragt, ob ich immer noch der Junior sein sollte. Immerhin nahm ich Psychopharmaka ein! Ich habe ein Jahr auf der geschlossenen Abteilung verbracht! Ich war bereit zurückzutreten. Aber davon wollten Doc und der Älteste nichts hören.)
    »Ich habe sie heute Morgen genommen«, murmele ich mit hochrotem Kopf. Hoffentlich hat es die Schwester an der Aufnahme nicht gehört. Was soll sie von einem zukünftigen Anführer halten, der Psychopillen nimmt?
    Doc sieht mich prüfend an. »Ist alles in Ordnung?«, fragt er.
    Der Älteste hat mich wegen der Sterne belogen; es könnte ein geheimes Deck auf diesem Schiff geben; Orion sieht mir ähnlicher, als ich zugeben möchte; aber sonst ist alles in Ordnung. Und wenn Doc glauben würde, dass mir etwas fehlt, würde er mir noch mehr Medikamente geben. Also nicke ich.
    Doc sieht nicht gerade überzeugt aus. »Ich weiß, wie schwer es für dich ist. Du bist anders.«
    »So anders bin ich nun auch nicht.«
    »Natürlich bist du das. Das weißt du genau.«
    Ich zucke mit den Schultern. Der Fahrstuhl kommt wieder herunter. Er ist jetzt leer und ich würde am liebsten in ihm die Flucht ergreifen. Doc ist gnädig und lässt mich gehen.
    Im Fahrstuhl schwebt meine Hand über der Vier, gleitet dann aber doch auf die Drei. Wenn Harley seine Medikamente nicht mehr nimmt, sollte ich vielleicht nach ihm sehen, bevor ich mich auf die Suche nach dem geheimnisvollen zweiten Fahrstuhl mache.
    Meine Laune wird mit jedem Stockwerk besser. Doc zum Trotz ist die Psychiatrie einer der Orte, an denen ich am liebsten bin. Alle meine Freunde sind hier. Der Aufzug kommt wippend zum Stehen und die Türen gleiten im Gemeinschaftsraum des dritten Stocks auf. Ich strahle so sehr, dass es beinahe wehtut. Obwohl hier nur Verrückte leben, fühlt sich die Station mehr wie mein Zuhause an als jeder andere Ort auf diesem Schiff.
    Mir tropft Farbe auf den Ärmel. Ich schaue auf und stelle fest, dass Harley eine Leinwand bearbeitet und den Pinsel über den Rand spritzen lässt. Dort, wo er sitzt, ist der Boden mit blauen und roten Farbklecksen übersät.
    »Hey, Harley«, sage ich. »Doc sucht nach dir.«
    »Hab keine Zeit für ihn« – er wirft mir einen kurzen Blick zu –, »49 und 267«, bemerkt er noch, bevor er wieder anfängt, seine Leinwand mit dem Pinsel zu attackieren. Ich muss grinsen. Harley weiß immer ganz genau, wann das Schiff landen wird. Die meisten Leute – also, die meisten Leute auf der Station – berechnen, wann

Weitere Kostenlose Bücher