Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
abgeschnitten. Ich lege die Hand an die Wand, um nicht vollkommen orientierungslos zu sein, und meine Finger berühren eine Art Knopf aus Plastik.
Eine flackernde Lampe geht an, dann noch eine und noch eine. Wie Dominosteine aus Licht, die an der Decke aufgereiht sind. Wow. Ein Lichtschalter. So was kenne ich nur von Floppys und technischen Videos von der Sol-Erde. Das Schiff wurde schon lange vor der Seuche komplett auf Dra-Kom umgestellt.
Es ist groß, dieses Deck. Ungewöhnlich groß. Es erinnert mich an das Regentendeck – Unmengen von Platz und niemand, der ihn ausfüllt. Groß genug, dass alle Bewohner des Schiffs hineinpassen würden, genau wie in den Großen Raum. Links ist eine geschlossene Tür und rechts zweigt ein Flur ab. Alles ist aus Metall mit scharfen Kanten. Abgesehen davon, dass das Deck so riesig ist, hat es eine merkwürdige Form, fast oval und an der Decke rund zulaufend wie ein Kuppelbau. Ich habe keine Ahnung, was diese runde Decke zu bedeuten hat – das Versorgerdeck darüber ist eben – aber ich sehe dicke Metallrohre, die von der Kuppel herunterführen.
In diesem großen Raum gibt es endlose Reihen kleiner Metalltüren. Wie die alten Bücherregale von der Sol-Erde im hinteren Teil des Archivs (zu dem die Bauern natürlich keinen Zutritt haben), scheinen auch diese Reihen etwas Interessantes aufzubewahren. Allerdings erschweren hier die kleinen Türen mit den schweren Beschlägen den Zugriff. Die Luft fühlt sich kühl an und die Wände kommen mir still vor. Als dürfte man an diesem Ort nur flüstern. Hier halten sich bestimmt nur wenige Menschen auf.
Ich betrete den ersten Gang. An beiden Seiten befinden sich kleine Türen. Die Türen sind mit weißer Farbe nummeriert. An den Unterkanten der Türen sind kleine Rechtecke eingraviert. Ich sehe genauer hin – es sind Flaggen, ungefähr ein halbes Dutzend, von Ländern der Sol-Erde. Am Ende der Flaggenreihe stehen drei Buchstaben: FRX. Dieselben Buchstaben wie auf der Sternenkarte. Dieses Zeug hier ist alt. Ein Teil des ursprünglichen Designs. Ich berühre eine der Türen – Nummer 34 – und will gerade den schweren Hebel herunterdrücken, als mich ein rotes Blinken ablenkt.
Eine der Türen steht bereits offen. Aus der Öffnung ragt ein langes Metallgestell heraus wie eine Zunge. Auf dem Gestell steht ein schmaler durchsichtiger Behälter mit gefrorenem Wasser, das mit blauem Glitter durchsetzt ist. Und in dem Eis schwebt ein Mädchen, genauso still wie dieser Raum.
Es ist ihr Haar, das mich anzieht. Es ist so rot . Ich habe noch nie rotes Haar gesehen, außer auf Bildern, aber die Bilder haben nie diese Lebendigkeit der Farbtöne wiedergegeben, wie sie hier im Eis funkeln. Harley hat ein Buch mit Gemälden, das er aus dem Archiv gestohlen hat. Auf einem der Bilder sieht man ein und denselben Heuschober, aber zu verschiedenen Tageszeiten. Er hat mir die letzten beiden Schober gezeigt, den schneebedeckten und den bei Sonnenuntergang. Harley ist deswegen total ausgeflippt und hat sich darüber ausgelassen, wie genial der Künstler war, weil er die verschiedenen Lichtverhältnisse gemalt hat, aber ich fand es blöd, denn entweder ist es hell oder dunkel. Da hat er gesagt, dass ich blöd wäre, weil es auf der Sol-Erde so was wie einen Sonnenaufgang und einen Sonnenuntergang gäbe, was daran läge, dass die Sonne nicht nur eine überschätzte Wärmelampe am Himmel ist, sondern sich bewegt wie etwas Lebendiges.
Aber die Haare dieses Mädchens sind faszinierender als die Sonnenstrahlen auf der Sol-Erde, gemalt von einem Künstler, der laut Harley der genialste Mann war, der jemals gelebt hat.
Ich berühre das Glas, in dem sie liegt, und merke erst jetzt, wie kalt es ist. Mein Atem bildet weiße Wölkchen. Meine Fingerspitzen bleiben am Glas haften.
Ich starre auf sie hinunter. Sie ist das schönste Wesen, das ich jemals gesehen habe, aber auch das fremdartigste. Ihre Haut ist blass, fast durchsichtig weiß, aber ich glaube nicht, dass das am Eis liegt. Ich lege die Hand oben auf den Glaskasten, über ihr Herz. Verglichen mit ihrer schimmernden Haut ist meine ein dunkler Schatten.
Dieses Mädchen gehört definitiv nicht zu unserer Rasse. Sie sieht nicht aus wie jemand von der Godspeed. Ihre Haut, ihre Haare, ihr Alter – mein Alter! – ihre Formen … nicht groß, aber mit wohlgerundeten Brüsten und Hüften.
Wie passt dieses Mädchen in eine Gesellschaft von Leuten ohne jeden Unterschied, die dem Ältesten zufolge den
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