Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Aus dem Augenwinkel sehe ich das stahlgraue Metall der Wände, die sich über dieses Deck des Schiffs wölben und uns wie unter einer Käseglocke einsperren.
Ich renne schnurstracks hinaus in die grünen Felder. Dieser Teil des Schiffs ist riesig, aber doch nicht so groß, als dass ich die Wand an der anderen Seite nicht sehen könnte. Vielleicht drei oder vier Kilometer im Durchmesser, also weniger als die normale Strecke, die ich sonst immer gelaufen bin. Dieses Deck ist einerseits so klein, dass ich Platzangst bekomme, aber irgendwie auch so groß, dass es mich schon fast beeindruckt.
Der Weg windet sich durch die Felder, aber ich ignoriere ihn und renne durch ein Maisfeld, das so hoch ist wie meine Schultern. Ich renne an Zäunen entlang, hinter denen Schafe und Ziegen wie weiße Tupfen weit entfernt auf den Weiden grasen. Ich erschrecke ein paar dicke Hühner, die mir über den Weg laufen. Sie flattern mit viel Gezeter auf, aber als ich mich einen Moment später zu ihnen umdrehe, haben sie mich schon wieder vergessen.
Ein dünner Schweißfilm bildet sich auf meinen Armen, sammelt sich in den Beugen meiner Ellbogen und am Hals. Ich atme die kühle, wiederverwertete Luft ein. Ich stelle mir vor, dass ich in einem schicken Fitnessstudio bin und dass ich gehen kann, wenn ich mit dem Laufen fertig bin. Und draußen wartet Mom im Auto auf mich und dann fahren wir nach Hause. Dieser Gedanke lässt mich anhalten und beinahe auf die Knie sinken. Ich hole tief Luft, um nicht loszuschluchzen.
Sie sind so nah .
Und doch so weit weg.
Ich renne wieder los. Ich will nicht darüber nachdenken. Ich will nur noch rennen.
Meine Muskeln brennen, aber ich genieße den Schmerz. Obwohl der Doktor offenbar etwas mit meinen Muskeln gemacht hat, damit sie nicht schrumpfen, fühlen sie sich trotzdem steif an, nicht so gut gedehnt, wie ich es gewohnt bin.
Als ich um eine Kurve laufe, hockt jemand am Boden und jätet ein Blumenbeet. Ich bremse ab und der Mann schaut auf.
»’lo«, sagt er zur Begrüßung.
»Hm«, grunze ich zur Antwort.
Sein Blick mustert mich und verschlingt meine blasse Haut, die roten Haare und die grünen Augen, die ihn sofort misstrauisch machen. Ich sehe es ihm an – seine Augen verengen sich und er kneift die Lippen zusammen. Er packt seine Hacke fester und plötzlich kommt sie mir viel mehr wie eine Waffe als ein Gartengerät vor.
Ich nicke und laufe weiter. Ich sehe mich noch einmal um. Er beobachtet mich immer noch und hält die Hacke mit beiden Händen fest.
Rennen. Schneller rennen.
Wenn ich diesen Zustand erreiche – wenn sich alles nur noch aufs Rennen konzentriert –, dann ist mein Gehirn endlich still, dann kann ich alles vergessen, was der Doktor gesagt hat, und muss nicht mehr an all das denken, was ich verloren habe und nie mehr zurückbekommen werde.
Deswegen laufe ich. Wegen des Gefühls, nichts anderes mehr zu sein als Bewegung. Ich habe es versucht, Jason zu erklären. Er ist sogar mal mit mir joggen gewesen. Und obwohl ich von diesem Babylauf nicht außer Atem war, pochte mein Herz doch wie verrückt, wenn ich ihn ansah …
Denk nicht daran.
Denk gar nichts.
Renn einfach.
Mein dicker Zopf wischt mir über den Rücken. Ich merke, dass mir Schweiß übers Gesicht läuft. Ich halte an, wo die Felder in einen Schotterweg und dann in Asphalt übergehen. Dies ist die Stadt, die ich vom Fenster aus gesehen habe. Sie ist allerdings viel kleiner als jede Stadt, die ich von der Erde kenne. Mom hat einmal an der Universität von North Carolina einen Vortrag über Gentechnik gehalten und wir durften das ganze Gelände der Uni besichtigen. Diese Stadt hat etwa die Größe des alten Teils dieser Uni, nur dass es hier gestapelte Container sind und keine Wohnheime und Studiengebäude. An der gebogenen Metallwand hinter der Stadt ragt eine dünne Plastikröhre auf. Ich betrachte sie neugierig und bin ganz verblüfft, als ich eine Person durch diese Röhre sausen sehe. Eine Sekunde später zischt die nächste nach oben. Leute – Menschen! – werden von dieser Röhre auf eine andere Ebene des Raumschiffs gesaugt wie Rohrpostsendungen. Ist das irre! Das muss sich anfühlen, als würde man fliegen! So viel besser als Fahrstuhl fahren! Ich starre die Röhre so lange mit offenem Mund an, dass mir gar nicht bewusst geworden ist, wie nah ich den Menschen gekommen bin. Ich merke es erst, als sie anfangen zu flüstern.
Mein Blick wandert von der Röhre zu den Leuten, die sich langsam, aber
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