Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Daumen?«, fragt mich Harley.
Ich betrachte meine Daumen, obwohl ich natürlich genau weiß, dass da keine Narbe ist.
»Vielleicht hatte er einfach etwas am Daumen, als er die Tür berührt hat«, sagt Amy, ohne aufzuschauen. »Etwas, das zwischen die Oberfläche und seinen Daumen geraten ist.«
Aber ich habe da oben nichts angefasst.
Das weiß ich genau.
Amy nimmt den Floppy in die Hand. »Bist du ganz sicher, dass es nicht der Älteste gewesen sein kann?«
»Ganz sicher. Ich habe sofort auf der Dra-Kom-Ortungskarte nachgesehen, als wir Mr Robertson gefunden haben. Er war nicht hier unten.«
Amy atmet lautstark aus. »Ich glaube trotzdem, dass er –«
Ich schüttele den Kopf und Amy verstummt. Es ist nicht möglich. Auch wenn Amy recht hat, was seine Persönlichkeit angeht, war der Älteste definitiv nicht hier unten, als der Mord geschah.
Amy wirft angewidert den Pinsel hin. »So viel zum Thema Fingerabdrücke.«
»Tut mir leid«, murmele ich abwesend, denn ich überlege immer noch, von wem der Abdruck stammt, wenn es nicht meiner ist und auch nicht der des Ältesten.
Harley schnappt mir den Floppy aus der Hand und wirft ihn auf den Tisch am Ende des Gangs. »Kann ich jetzt die Luke sehen?« Er hebt seinen Malkasten hoch, und ich bemerke, dass er eine neue kleine Leinwand mitgebracht hat.
»Wenn ich dir die Tür zur Luke öffne, wirst du dann heute Nacht hierbleiben und aufpassen, dass sich niemand an den eingefrorenen Leuten vergreift?«
Amys Lächeln gibt mir Grund genug, die Stimme in meinem Kopf zu ignorieren, die mich warnt, dass es dem Ältesten gar nicht gefallen wird, wenn ich Harley hier unten allein lasse.
»Klar«, verspricht Harley sofort.
Ich verrate Harley, wo der Zugang zur Außenluke ist und auch den Code, der die Tür öffnet. Dann hole ich den Floppy zurück, den er weggeworfen hat. Hastig tippe ich Zugangsberechtigungen für ihn und Amy ein, damit sie das Kryo-Deck nach Belieben betreten und verlassen können. Außerdem richte ich einen Floppy-Zugang für Amy ein. Harley rennt sofort in Richtung Luke, nachdem ich seinen Daumenabdruck eingescannt habe, und gibt sich keine Mühe, seine Begeisterung zu verbergen. Amy lacht immer noch über ihn, als ich ihren Daumen auf das Scanfeld des Floppys drücke. Erst als sie aufhört zu lachen, wird mir bewusst, dass ich ihren Daumen eine ganze Minute lang festgehalten habe.
»Tut mir leid«, sage ich und ziehe hastig meine Hand zurück.
Amy lächelt mich an.
»Wilsmitmiringartngehn?«, stoße ich in einem einzigen Ausatmen hervor. Meine Augen werden groß. Was ist nur in mich gefahren? Wieso habe ich das bloß gesagt?
»Was?«, fragt Amy, die jetzt noch strahlender lächelt und sich gegen den Metalltisch hinter sich lehnt.
»Möchtest du den Garten sehen?«, frage ich diesmal viel langsamer. »Mit mir?«
Sie beißt sich auf die Lippe, und obwohl sie den Blick nicht abwendet, wirkt sie plötzlich ziemlich abwesend und distanziert. Ihre Hände umfassen die Tischkante, und sie sieht aus, als hätte sie Angst, ich könnte sie gegen ihren Willen von diesem kalten düsteren Ort wegbringen. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass sie in der Nähe ihrer Eltern bleiben will. Ihr Blick huscht nach rechts, in die Richtung, in die Harley verschwunden ist. Sie will die Sterne sehen, genau wie Harley.
Mein Herz rast. Warum sollte sie auch mit mir in den Garten wollen?
Doch dann sieht sie mir wieder in die Augen und lächelt. »Klar«, sagt sie.
Und ich sehe etwas in ihrem Lächeln, das viel schöner ist als die Sterne.
31
Amy
Junior führt mich in den weitläufigen Garten hinter dem Krankenhaus, durch den ich heute Morgen bei meinem Lauf schon gekommen bin. Aber da ist mir seine Schönheit nicht aufgefallen – ich hatte nur Augen für die Wand dahinter. Er wirkt ein bisschen chaotisch, als wäre er wild gewachsen, aber es gibt nirgendwo Unkraut, was darauf hindeutet, dass diese wundervoll gepflegte Unordnung von einem meisterhaften Gärtner geschaffen wurde.
»Was ist das?«, will ich wissen.
»Eine Statue vom Ältesten während der Seuche.«
»Also nennt ihr jeden eurer Anführer Ältester?«
Er nickt.
»Das ist doch total blöd. Da weiß man doch nie, wer gemeint ist. Wie viele Älteste gab es denn schon?«
»Ich … äh … ich weiß es nicht.«
Ich schaue zum Gesicht der Statue auf. Sie ist nicht aus Stein gehauen. Ich vermute, dass sie aus Beton oder etwas in der Art angefertigt wurde. Das ergibt Sinn. Wo sollten die Leute auch
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