Godspeed Bd. 2 - Die Suche
Schlitzen.
»Darüber wird nicht diskutiert«, füge ich hinzu, bevor er den Mund aufmachen kann. »Die ESZU geht weiter wie bisher.«
Ich wende mich ab, um ihm jede Chance zu nehmen, mir zu widersprechen. Bei Marae angekommen, höre ich ihn jedoch murmeln: »Aber nur vorläufig.«
Ich schaue ihn erneut an, als am äußeren Rand der Menge plötzlich jemand loskreischt. Die Leute sehen sich neugierig um – jetzt achtet keiner mehr auf Fridrick und mich, sondern nur noch auf die Frau am anderen Ende des Blocks, die neben dem Körper eines Mannes auf dem Boden hockt.
Ich kneife die Augen zusammen, um ihn zu erkennen.
Der Mann ist Stevy.
26
Amy
Außer Atem erreiche ich das Krankenhaus. Ich bin nicht mehr so fit wie damals auf der Erde, als ich täglich gelaufen bin. Kit hält mich an der Tür auf.
»Was ist los?«, fragt sie. »Doc hat sich gerade aus der Stadt gemeldet.«
Ich schüttle den Kopf. »Ein paar Leute machen Ärger. Bartie und Luthor und einige von den Versorgern.«
»Doc sagt, dass es ziemlich schlimm ist«, berichtet Kit. Sie muss mir meine Beunruhigung ansehen, denn sie fügt schnell hinzu: »Aber einige der Techniker sind bei Junior, und ich bin sicher, dass alles gut ausgeht.«
Sie eilt davon, weil eine der Krankenschwestern Hilfe braucht und lässt mich mit meinen Sorgen und Ängsten allein zurück. Ich steuere den Fahrstuhl an – ich könnte in mein Zimmer gehen, aber ich muss wieder an Orions Worte aus dem letzten Video denken: »Geh nach Hause. Da findest du die Antwort. Geh nach Hause .« Ich weiß nicht, was er damit meint. Der kleine viereckige Raum auf der Station ist zwar der Ort, wo ich jede Nacht schlafe, aber mein Zuhause ist er nicht.
Also mache ich mich auf den Weg ins Archiv. Vielleicht hat Junior recht, und der Hinweis ist in einem Atlas verborgen, wenn ich auch nicht glaube, dass Orion etwas so Offensichtliches machen würde. Aber jetzt ist vermutlich der sicherste Zeitpunkt, das Archiv zu besuchen, denn Luthor ist noch in der Stadt.
Auf den Eingangsstufen des Archivs fällt mir auf, dass die kleine Nische, in der bisher das Bild von Junior hing, leer ist. Ich schaue mich um. Von hier aus kann ich nicht sehen, was in der Stadt vorgeht, aber mir gefiel gar nicht, wie Kit versucht hat, alles herunterzuspielen. Wenn einem jemand sagt, dass alles gut wird, bedeutet das gewöhnlich genau das Gegenteil.
Im Archiv sind weniger Leute als sonst und die meisten stehen nicht vor den Floppys oder besuchen die Bibliothek. Stattdessen stehen sie in kleinen Grüppchen zusammen und reden halblaut miteinander. Mehrere von ihnen schauen auf, als ich eintrete, und mir wird bewusst, dass ich weder Kopftuch noch Kapuze trage. Hastig will ich meine Haare verdecken, aber es ist zu spät. Einer der Männer aus der Gruppe an der Tür kommt auf mich zu.
»Warst du in der Stadt?«, fragt er.
Ich nicke. Er wirkt eher neugierig als bedrohlich, aber meine Beinmuskeln spannen sich trotzdem an, falls ich wegrennen muss.
»Stimmt es, was alle sagen? Dass es einen Aufstand gibt?«
»So würde ich es nicht nennen«, beteuere ich. »Da waren nur ein paar Leute, die Ärger gemacht haben.«
Eine Frau hält den Kopf schief und lauscht ihrer Dra-Kom. Diese Leute können ihre Infos auch aus erster Hand beziehen. Mein Finger schwebt schon über meiner Handgelenks-Dra-Kom … aber dann muss ich wieder daran denken, wie Bartie und Luthor die Menge aufgehetzt und mich als Beweis für Juniors Unfähigkeit hingestellt haben.
Dass ich die Probleme in der Stadt so heruntergespielt habe, scheint die Leute nicht zu überzeugen. Also ziehe ich mir die Kapuze über den Kopf und verschwinde in die Bibliothek. Es dauert eine Weile, bis ich finde, wonach ich suche, aber schließlich entdecke ich ein übergroßes Buch mit einer Weltkarte auf dem Umschlag. Als ich es aus dem Regal ziehe, wird mir bewusst, dass ein Atlas der Erde weder auf diesem Schiff noch auf dem neuen Planeten irgendeinen praktischen Nutzen hat. Er ist wohl nur der Vollständigkeit halber an Bord, sonst nichts.
Im Atlas befasst sich ein großer Teil mit Amerika. Ich schlage erst Florida nach – da habe ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht. Ich fahre mit der Hand über die Seite, aber ich sehe auch so, dass dort nichts ist – kein Floppy, keine Mem-Karte, keine handschriftliche Notiz. Als Nächstes sehe ich unter Colorado nach. Das war mein letztes Zuhause. Kalte Winter. Klarer Himmel. Sternenklare Nächte.
Und leere Seiten, denn
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