Godspeed | Die Ankunft
ist. Er löst sich aus der Aufhängung, und sie zieht ein dünnes Büchlein dahinter hervor, auf dessen Titel die Zeichnung eines kleinen Jungen zu sehen ist, der auf einem mit Kratern übersäten Mond steht. Amy klettert zurück, springt vom Kistenstapel und wirft mir das Buch zu.
Der kleine Prinz,
ist in den Umschlag eingeprägt, gefolgt von einem unaussprechlichen Namen.
Ich blättere im Buch herum, bis ich den Hinweis finde, den Orion uns hinterlassen hat. Es ist die unterstrichene Textstelle, die Amy entdeckt hat, mit der sich bisher aber keiner von uns näher beschäftigt hat.
»Ich«, antwortete der kleine Prinz, »möchte niemanden zum Tode verurteilen.«
»Es ist eine Warnung«, murmele ich beim Lesen.
Amy liest über meine Schulter mit. »Da muss noch mehr sein. Orion hätte uns keinen Hinweis hinterlassen, der nirgendwo hinführt, und er hätte es nicht erwähnt, nicht im Augenblick seines Todes und nicht, nachdem du ihm gerade gesagt hast, dass wir auf dem Planeten sind und dass es hier gefährlich ist. Er war vielleicht ein Psychopath, aber mit seinen Hinweisen hat er sich große Mühe gegeben. Hier muss etwas sein, das uns zu der Erkenntnis führt,
wieso
die Zentauri-Erde gefährlich ist und womit wir es zu tun haben.«
Ich bin nicht sicher, wie viel davon logisches Denken ist und wie viel Wunschdenken, aber es ist unsere einzige Chance.
Ich klappe das Buch zu und betrachte den Umschlag. Orion hat mich Kleiner Prinz genannt, aber ich finde nicht, dass ich mit dem Prinzen auf dem Titelbild viel gemeinsam habe. Dieser kleine Prinz steht auf dem trockenen staubigen Felsen seines Königreichs und hat keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn sich tausend Leute auf einen verlassen. Er könnte seinen Planeten aufgeben und durch das Universum von einem Ort zum anderen hüpfen – was er, wie ich beim flüchtigen Lesen feststelle, auch tut. Auf einem so kleinen Planeten fühlt er die Last der Schwerkraft vermutlich nicht, aber mich belastet viel mehr als nur die Anziehungskraft der Zentauri-Erde.
Ich fange an, das Buch zu lesen, aber Amy ist so ungeduldig, dass ich mich nicht konzentrieren kann. Es ist irgendwie verrückt – es kommen ein Hut, eine Rose und ein Fuchs darin vor, was nicht viel Sinn ergibt. Am Ende angekommen, gebe ich Amy das Buch zurück. »Darin ist nichts«, sage ich.
Sie schüttelt den Kopf und schlägt das Buch erneut auf. »Da muss etwas sein.«
Diesmal beginnt sie jedoch nicht am Anfang, sondern in der Mitte, wo Orion einen Satz unterstrichen hat. Ihr Finger fährt über die Linien, die der Stift beim starken Aufdrücken im Papier hinterlassen hat. Sie blättert ein paar Seiten weiter und streicht dort über die Abbildung, die einen fetten Mann in einem mit Sternen übersäten Cape zeigt, der über einen noch kleineren Planeten herrscht als der kleine Prinz.
Amy schnappt nach Luft.
»Was ist?«, frage ich und beuge mich über das Buch.
»Sieh doch.« Sie hält mir das Buch hin.
»Sieh doch.«
Und da sehe ich es.
Der Hinweis steckt nicht im Text, sondern in der Illustration. Der Mann auf dem Bild sitzt auf einem Thron. »Er ist der König«, sagt Amy. »Er glaubt, er wäre der König der Sterne.« Sein Umhang weht über die Oberfläche des Planeten und hängt an den Seiten herab. Der Stoff ist mit einem Dutzend oder mehr gelben Sternen verziert, was den Eindruck vermittelt, als wäre er in das Universum gehüllt. Er trägt eine goldene Krone und macht ein missmutiges Gesicht, und aus Gründen, die ich nicht erklären kann, erinnert er mich an den Ältesten.
Und genau dort, wo das Herz des Königs sein müsste, befindet sich ein Stern. Er gehört dorthin und ist Teil des Umhangs, doch im Innern des Sterns ist ein von Hand gezeichnetes Herz zu sehen, das kein Teil der ursprünglichen Abbildung war.
»Und sieh mal da«, sagt Amy und zeigt auf den unteren Rand des Planeten, den der König als Thron benutzt. Dort folgt ein in winzigen Buchstaben geschriebener Satz der Rundung des Planeten:
Wer sind die wahren Monster?
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23 Amy
Wer
sind die Monster. Nicht
was
. Wer.
Junior seufzt und klappt das Buch zu.
»Was ist los?«, frage ich.
»Das sagt uns gar nichts.« Er betrachtet das Buch angewidert. »Das ist nur ein weiterer blöder Hinweis. Und wo immer er uns hinführen sollte, es ist jetzt unerreichbar.«
»Das wissen wir nicht«, widerspreche ich, obwohl ich insgeheim befürchte, dass er recht hat.
Junior berührt seinen Hals, wo die nutzlose Dra-Kom sitzt.
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