Godspeed | Die Ankunft
erzähle ihr vom Tunnel. An ihren großen Augen kann ich erkennen, dass Colonel Martin diese Entdeckung vor ihr geheim gehalten hat – wie auch vor allen anderen.
»Wir können es uns nicht leisten, weiter im Dunkeln zu tappen«, sage ich. »Wir müssen wissen, was hier vorgeht.«
Amy beißt sich auf die Lippe, doch dann nickt sie. »Ich komme mit.«
»Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.« Ich grinse sie an. Amy tritt vom Fenster zurück, hebt ihre Waffe und das Holster vom Boden auf, schnallt es sich um die Hüfte und zieht ein Hemd über ihr Tanktop. Mit beiden Armen stemmt sie sich auf die Fensterbank, schwingt die Beine nach draußen und landet lautlos neben mir.
»Wie sieht der Plan aus?«, flüstert sie.
»Wir folgen den Wasserrohren zum See und dann geht es wieder in den Wald. Ich glaube, dass die Sonde irgendwo dort sein muss – zumindest ist dort irgendwas, das Colonel Martin vor uns versteckt.«
Amy runzelt die Stirn, während wir von der Kolonie wegschleichen. »Vielleicht gibt es einen vernünftigen Grund, wieso Dad die Leute von der Sonde fernhält. Er ist nicht der Älteste und das hier ist nicht die
Godspeed
.«
Ich antworte nicht. Wir huschen um die neuen Latrinen herum und folgen im Schatten des Berges den Wasserrohren.
Amy sagt erst wieder etwas, als wir außer Hörweite der Kolonie sind. »Ich habe heute einen Mann sterben sehen.«
Ich bleibe stehen.
»Ich wünschte, du wärst da gewesen.« Es klingt gruselig, diese beiden Sätze hintereinander zu hören, aber ich weiß, was sie meint. In den letzten drei Monaten haben die Wände der
Godspeed
uns diese Nähe aufgezwungen. Doch jetzt frage ich mich, ob nur sie es waren, die Amy an meiner Seite hielten.
»Es tut mir leid«, sage ich und meine damit mehr als nur die heutigen Ereignisse.
»Vielleicht hält Dad die Menschen nur von der Sonde fern, weil es gefährlich ist«, sagt Amy, und es hört sich fast an, als spräche sie mit sich selbst. Unbewusst berührt sie ihre Waffe, und mir entgeht nicht, dass es die Pistole ist, die ihr Sicherheit bietet, und nicht ich.
Wir gehen schweigend weiter bis zum See. Erst dort reden wir wieder miteinander, wenn auch im Flüsterton.
»Sieh dir doch an, wie ungeschützt wir hier sind«, zischt Amy. »Wundert es dich wirklich, wieso Dad die Leute hier nicht haben will?« Sie zieht ihre Waffe und hält sie schussbereit. Sie hat recht – es gibt hier keine Bäume und ein am Himmel kreisender Ptero könnte sich mühelos auf uns stürzen.
»Das ist nicht der Grund, wieso niemand herkommen darf.«
Amys Blicke huschen zum Himmel. »Junior … diese Pteros … die sind
grauenvoll
.«
Es ist eine solche Panik in ihren Augen, etwas so Dunkles und Verstörtes, wie ich es von ihr nicht kenne. Ihre Knöchel sind ganz weiß, aber sie hält die Waffe vollkommen ruhig.
»Bringen wir es hinter uns«, sagt sie mit gerunzelter Stirn und beginnt, die Anhöhe hochzusteigen.
Ich starre in die Dunkelheit. Ich kann den schwarzen viereckigen Umriss gegen den dunklen Himmel kaum ausmachen, zumal er fast von einem kleinen Hügel verborgen ist. Hätten wir nicht direkt an der Wasserpumpe gestanden, hätte ich es niemals gesehen.
Ich werfe Amy einen prüfenden Blick zu. Ihr Gesicht ist blasser als sonst und hebt sich deutlich von der Dunkelheit ab.
Wir gehen jetzt langsamer und schauen uns immer wieder um, weil wir nicht riskieren wollen, uns zu verlaufen, was vor allem am Waldrand leicht passieren könnte, wo uns die Bäume die Sicht nehmen. Der Waldrand beschreibt einen Halbkreis. Ich versuche, mir einzuprägen, wo alles ist – das Shuttle links von uns, der See rechts und die Häuser hinter uns. Und etwas direkt vor uns.
»Sieh mal, wie flach das Land da vorn ist«, sagt Amy und zeigt darauf. Sie spricht immer noch leise, obwohl wir hier draußen noch niemanden gesehen haben.
Hohe Stängel von irgendeinem Getreide oder Gras wehen in der Brise. Aber wo Amy hinzeigt, wächst kein Getreide. Keine Bäume. Gar nichts. Da ist etwas Schwarzes, von Menschen Gemachtes inmitten all der Natur, und wir entdecken auch flache Gebäude, die in ordentlichen Reihen stehen – ein krasser Gegensatz zu den wehenden Halmen und krummen Bäumen.
»Komm mit«, sagt Amy und nimmt meine Hand.
Wir rennen über die Grasfläche, und ich muss wieder daran denken, dass Amy meinte, wir seien ungeschützt. Ich bin angespannt und warte darauf, dass vor den viel zu hellen Sternen der Umriss eines Pteros auftaucht.
Kurz bevor
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