Goebel, Joey
sein Ohr gegen die Erde drückte, die mit jedem Jahr immer weniger fruchtbar zu sein schien, oder wenn man das Gesicht gegen die Fenster der Sozialwohnungen presste, wo die vertrockneten Exoskelette von Insekten an den staubigen Stellen klebten, wo sie gestorben waren, könnte man vielleicht eine schleppende Stimme das Mantra der Ermatteten stöhnen hören:
»Tut mir leid Schatz dass ich in letzter Zeit so schlecht gelaunt war aber sie haben mich auf der Arbeit dermaßen in die Mangel genommen aber wenn ich diesen nächsten Job erledigt habe wird es besser weil ich dann mehr Zeit habe und wenn ich mehr Zeit habe achte ich mehr auf meine Fitness und dann werde ich gesund und fühle mich besser und bin glücklicher und ich wollte wirklich schon immer mal Klavier spielen oder Zaubertricks oder vielleicht sogar eine neue Sprache wie beispielsweise Deutsch lernen wenn ich also ein wenig freie Zeit habe werde ich lernen und ja wir werden verreisen vielleicht an irgendeinen Strand schreib mich bloß nicht ab denn Gott weiß ich bemühe mich ich bin nur so müde o Gott was bin ich erledigt.«
Für den Eigentümer dieser Stimme war das Commonwealth-Center ein Segen, weil es eine neue Freiheit bot: eine [532] radikale, beinahe unwirkliche Freiheit, in der alles richtig frei war, gratis. Generell war es ein Glücksfall für diejenigen, deren Schritte im Leben immer davon abhingen, wie wenig gerade auf ihrem Bankkonto war.
Jugendliche, besonders die mit schrägem Modegeschmack, der entweder auf Originalität oder auf fehlende Mittel zurückzuführen war, konnten sich hier an Wochenenden treffen und Musik hören, ohne Eintritt zahlen zu müssen. Für die Alten, auch wenn sie sich zunächst nicht hineintrauten, war das Gebäude so etwas wie die Veranda eines alten Tante-Emma-Ladens, wo sie sich hinsetzen und reden konnten, ohne etwas kaufen zu müssen, und wo sie morgens, mittags oder abends eine heiße, deftige Mahlzeit bekamen, immer so viel wie sie wollten, immer gratis. Und die Gelangweilten konnten sich in dem Gebäude unentgeltlich mit diversen Unterhaltungsangeboten vergnügen, bis es schließlich als Treffpunkt diente, wo sie immer jemanden trafen, den sie kannten und vielleicht sogar mochten. Es gab sogar umsonst Bier vom Fass, falls sich jemand die Kehle benetzen wollte, und am Tresen hing eine Liste mit den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften, die manche Gäste allerdings elegant umgingen.
Für Bashfords Mittellose war das Commonwealth-Center so fabelhaft, dass sie naturgemäß annahmen, es könne nicht von Dauer sein. In diesem Haus bekam man drei nahrhafte Mahlzeiten am Tag (keine davon Suppe), eine (allerdings auf fünf Personen pro Zimmer beschränkte) Unterkunft, wenn man sie brauchte, und angeblich sollte bald in dem Raum, wo früher die Wal-Mart-Apotheke gewesen war, eine kostenlose Arztpraxis untergebracht werden. Und als [533] wäre das nicht genug, bot das Gebäude noch eine Reihe von Jobs, die weit mehr als den gesetzlichen Mindestlohn einbrachten.
Andere Besucher jedoch hatten nicht die Absicht, im Commonwealth-Center oder sonstwo zu arbeiten, sondern sie nahmen in dieser Einrichtung des Gebens immer nur, was zur Folge hatte, dass der Rest der Stadt in ihnen nichts weiter sah als eine Ansammlung schlapper Schmarotzer, die es sich auf einem in Richtung Abgrund rasenden Laster gutgehen ließen. Außerdem sah ein kleiner, aber nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung im Commonwealth-Center nichts weiter als eine Chance. Statt Wohltätigkeit oder Menschlichkeit bemerkten sie in erster Linie, dass sich hier die potentielle Kundschaft für ihre illegalen Geschäfte sammelte. Es musste zwangsläufig zu Delikten kommen, das sah auch das Veteranenkomitee, aber es würde sie genauer im Auge behalten, vor allem nach den Festnahmen. Und die neun betonten, dass sie sich bei dem ersten Anzeichen von Gewalt als Rausschmeißer betätigen würden und zwar ebenso energisch, aber auch höflich wie Patrick Swayze in dem Film Road House.
Dieser Ort, wo Geld nicht willkommen war, hatte also durchaus seine schweren Mängel, und das Unappetitliche wurde von denen, die es suchten, geradezu genossen. Doch all jene, die das Commonwealth mochten und schätzten, hatten ähnliche Ansichten, die Mitchell Gibson so unnachahmlich an dem ersten (und letzten) Poetry-Slam des Hauses formulierte. Mitchell, den Blue Gene ursprünglich eingeladen hatte, damit er seine Theatererfahrung in diese schlichte, schmucklose weiße Halle
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