Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heartland
Vom Netzwerk:
Mensch zu sein und dass die ganze Welt jeden seiner Schritte beobachtete, jedes nervöse Zucken, jedes Schlucken, jeden Fehler.
    Als John noch ein Jugendlicher war und Tennis spielte, hatte ihm sein Vater eingeschärft, der ganze Bewegungsablauf müsse, von der Fußstellung bis zur Haltung des Handgelenks, so lehrbuchhaft perfekt sein, dass ein Fotograf in jeder beliebigen Millisekunde ein Foto knipsen könnte. Und als im vergangenen Herbst beschlossen wurde, John solle sich in ein politisches Amt wählen lassen, hatte Henry John erneut beiseite genommen und ihm eingeschärft, Politik sei wie Tennisspielen: Jedes Lächeln, jede Geste und jede Bewegung müssten perfekt sein, Einzelbild für Einzelbild für Einzelbild, und erst recht natürlich bei einer Gelegenheit wie dieser, wenn tatsächlich Fotografen anwesend sein würden.
    John beugte sich über seinen Garderobentisch und betrachtete sich im Spiegel. Er sagte sich, wenn schon nichts anderes, habe er doch immerhin das Gesicht eines großen [160] Politikers. Er hatte ein markantes, energisch wirkendes Kinn, eine schmale, intelligent wirkende Nase und einen perfekt proportionierten länglichen Schädel. Ihm fiel ein, dass er gelesen hatte, die Köpfe von Filmstars seien normalerweise ein wenig größer als der Durchschnitt, ein Beleg für die These, dass er der geborene Mann für die Rolle eines Politstars war. Wenn er nur nicht so besorgt dreinschauen würde! Sogar im Spiegel wich er seinem eigenen Blick aus: Er war ein außergewöhnlich gutaussehender Mann mit dem unsteten Blick eines ängstlichen Kindes.
    Es klopfte an der Tür. John reagierte nicht.
    »John? Bist du da drin?«
    »Ja, Mom.« Er öffnete die Tür.
    »Gene ist da. Er möchte wissen, was er machen soll.«
    »Na schön. Dann muss ich ihn wohl treffen und begrüßen. Ich komme sofort.«
    »Alles in Ordnung? Du siehst verstört aus.«
    »Nein. Mir geht es gut. Mir geht es sogar ausgezeichnet.«
    »Ganz sicher?«
    »Ja. Manchmal fällt es mir schwer, mit Leuten zu reden, das ist alles. Aber mir geht es gut.«
    Elizabeth musterte John von oben bis unten. Sie fuhr ihm mit dem Daumen über die vollen, ausdrucksstarken Augenbrauen, die sein umwerfendes Aussehen noch unterstrichen. »Du siehst großartig aus, und es wird großartig laufen. Aber vergiss nicht, du musst aus jeder Begegnung da draußen das Bestmögliche herausholen. Sieh es einfach so…« Elizabeth verstummte, sah ihn mit ihren lebhaften, braunen Augen an und lächelte glückselig. »Stell dir vor, dass du irgendwann in deinem Leben einem Menschen begegnest, der Gott [161] persönlich ist. Doch der Haken daran ist, dass du nicht weißt, welcher Mensch das ist. Deshalb musst du sicherheitshalber jeden einzelnen Menschen, dem du in diesem Wahlkampf begegnest, so behandeln, als wäre er oder sie unser Herrgott persönlich.«
    Mit einem Seufzen wandte John sich ab.
    »Was ist? Was hast du?«
    »Wenn du mir sagst, Mom, ich solle mich bei jedem so verhalten, als wäre er Gott – der Druck ist zu groß.«
    »Das ist nicht wörtlich gemeint. Das habe ich nur aus einem meiner Bücher. Ich wollte dir doch nur helfen.«
    »Also, ich war schon mal da draußen und bin mir ziemlich sicher, dass keiner dieser Leute Gott ist.«
    »Dann tu halt so, als könne jeder, dem du begegnest, eines Tages berühmt sein.«
    Sobald Abby mit den Getränken der Balsams zurückgekommen war, wollte Arthur sich auf Blue Genes Schoß setzen. Blue Gene ließ ihn auf sich herumhopsen und machte dazu Motorradgeräusche, und Arthur drehte sich um und packte beide Seiten von Blue Genes Vokuhila, als wären es die Griffe eines Lenkers. In dem Moment entdeckte Blue Gene auf der anderen Seite des Saals Mitchell Gibson, seinen besten Freund aus Kindertagen. Blue Gene hatte gehört, dass Mitchell schwul war, und fühlte sich bestätigt, als er neben ihm einen Mann mit gegelten Haaren stehen sah. Blue Gene verzog den Mund und überlegte, ob Mitchell schon als Junge Anzeichen von Homosexualität gezeigt hatte. Ihm fiel ein, dass Mitchell ständig wegen Kleinigkeiten in Tränen ausgebrochen war.
    [162] Nach all den Jahren kannte Blue Gene immer noch Mitchells Telefonnummer auswendig. In der ersten Klasse waren sie beste Freunde geworden, und Blue Gene hatte zum ersten Mal in seinem Leben jemanden gehabt, mit dem er sich am Telefon ausquatschen konnte, von Bernice einmal abgesehen, die er anrief, bis seine Eltern es ihm verboten. Blue Gene und Mitchell telefonierten stundenlang miteinander

Weitere Kostenlose Bücher