Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
einen Finger hoch, wenn man ihm eine Frage über Zen stellte. Ein junger Novize begann das nachzuahmen. Als Gutei das erfuhr ließ er ihn zu sich kommen, und fragte, ob das wahr sei. Der Novize bejahte. Gutei fragte,ob er verstehe. Als Antwort hob der Schüler seinen Zeigefinger hoch. Sofort schnitt Gutei ihn ab. Der Novize, brüllend vor Schmerzen, rannte aus dem Zimmer hinaus. Als er zur Schwelle kam, rief Gutei: „Junge!“ Als der Novize sich umwandte hob Gutei seinen Zeigefinger. In diesem Augenblick war der Novize erleuchtet.
Schildkröte: Das sind mir Geschichten! Gerade habe ich gemeint, daß Zen von Jōshū und seinen Streichen handelt, und nun finde ich, daß Gutei es ebenfalls lustig hat. Er hat offensichtlich einen beträchtlichen Sinn für Humor.
Achilles: Dieser Kōan ist sehr ernst. Wie kommen Sie auf die Idee, er sei humorvoll?
Schildkröte: Vielleicht ist Zen lehrreich, weil es humorvoll ist. Ich glaube, wenn man alle solchen Geschichten ganz ernst nähme, würde man ihren Sinn ebenso oft verfehlen, wie man ihn verstünde.
Achilles: Vielleicht ist etwas dran an Ihrem Schildkröten-Zen.
Schildkröte: Können Sie mir eines sagen? Ich wüßte gar zu gern: Warum kam Bodhidharma von Indien nach China?
Achilles: Oho! Soll ich Ihnen sagen, was Jōshū sagte, als man ihm eben diese Frage stellte?
Schildkröte: Bitte schön!
Achilles: Er antwortete: „Jene Eiche im Garten“.
Schildkröte: Natürlich, das hätte ich auch gesagt. Nur hätte ich es als Antwort auf eine andere Frage gesagt, nämlich: „Wer kann mir in der Mittagssonne Schatten spenden?“
Achilles: Ohne es zu merken, sind Sie unversehens auf eine der Grundfragen des gesamten Zen gestoßen. Diese Frage, so unschuldig sie klingt, bedeutet tatsächlich: „Was ist das Grundprinzip von Zen?“
Schildkröte: Erstaunlich! Ich hatte nicht die geringste Idee, daß das Zentralproblem darin besteht, daß man Schatten findet.
Achilles: O nein, Sie mißverstehen mich völlig. Ich meinte nicht DIESE Frage, sondern die, warum Bodhidharma von Indien nach China kam.
Schildkröte: Aha! Nun, ich hatte keine Ahnung, daß ich in so tiefe Wasser geraten würde. Aber kehren wir zu diesem merkwürdigen Abbildungsprozeß zurück. Ich verstehe Sie so, daß jeder Kōan mit den von Ihnen skizzierten Methoden in einen gefalteten Faden verwandelt werden kann. Wie steht es mit dem umgekehrten Vorgehen? Kann jeder Faden so gelesen werden, daß sich ein Kōan ergibt?
Achilles: In einem gewissen Sinn ja. Indessen ...
Schildkröte: Was stimmt denn da nicht?
Achilles: Man darf es nicht einfach umgekehrt tun. Es würde das Zentraldogma der Zen-Fäden verletzen, wie es im folgenden Bild dargestellt ist (nimmt die Papierserviette und zeichnet):
Kōan
Bote
gefalteter Faden
Transkription
Übersetzung
Es ist nicht erlaubt, gegen die Pfeile zu gehen – insbesondere nicht den zweiten.
Schildkröte: Sagen Sie mir: Hat dieses Dogma Buddha-Natur oder nicht? Wenn ich mir's recht überlege, glaube ich, daß es besser ist, diese Frage zu un-fragen. Ist das in Ordnung?
Achilles: Ich bin froh, daß Sie das un-fragten. Aber ich will Ihnen ein Geheimnis verraten. Versprechen Sie, es niemand weiterzusagen?
Schildkröte: Auf meine Schildkrötenehre!
Achilles: Nun, hin und wieder gehe ich tatsächlich gegen die Pfeile. Es hat wohl den Reiz des Verbotenen für mich.
Schildkröte: Aber Achilles! Ich hätte nie gedacht, daß Sie etwas so Respektloses täten!
Achilles: Ich habe es noch nie jemand gestanden, nicht einmal Okanisama.
Schildkröte: Aber sagen Sie mir: Was passiert, wenn man gegen die Pfeile im Zentral-Dogma vorgeht? Heißt das, daß Sie mit einem Faden beginnen und aus ihm einen Kōan machen?
Achilles: Manchmal. Aber es können verrücktere Dinge geschehen.
Schildkröte: Verrückter als die Erzeugung von Kōans?
Achilles: Ja ... Wenn man un-übersetzt und un-transkribiert, erhält man ETWAS , aber nicht immer einen Kōan. Gewisse Fäden ergeben nur Unsinn, wenn man sie auf diese Weise laut liest.
Schildkröte: Ist das nicht einfach eine andere Bezeichnung für Kōan?
Achilles: Den wahren Geist des Zen haben Sie offenbar noch nicht erfaßt.
Schildkröte: Erhält man wenigstens immer Geschichten?
Achilles: Nicht immer. Manchmal erhält man unsinnige Silben, dann wieder ungrammatikalische Sätze. Aber hier und da erhält man etwas, das ein Kōan zu sein scheint.
Schildkröte: Nur SCHEINT ?
Achilles: Nun, es könnte eine Fälschung sein.
Schildkröte:
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