Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Ausgezeichnete Idee! Zen ist eine Abart des Buddhismus und wurde von einem Mönch namens Bodhidharma gegründet. Er verließ Indien und ging irgendwann im 6. Jahrhundert nach China. Bodhidharma war der erste Patriarch. Der sechste is' Enō. (Endlich hab ich's richtig im Kopf!)
Schildkröte: Der sechste Patriarch hieß Zeno, nicht? Seltsam, daß ausgerechnet er in diese Sache verwickelt wurde.
Achilles: Ich wage zu behaupten, daß Sie offensichtlich den Wert von Zen unterschätzen. Hören Sie mir noch ein bißchen zu, und vielleicht lernen Sie es dann schätzen. Wie ich gerade sagen wollte, wurde Zen etwa fünfhundert Jahre später nach Japan gebracht und es faßte dort gut Wurzel. Seither ist es zu einer der Hauptreligionen Japans geworden.
Schildkröte: Wer ist dieser Okanisama, der „Siebte Patriarch“?
Achilles: Er ist mein Meister, und seine Lehre stammt direkt von der des Sechsten Patriarchen ab. Er hat mich gelehrt, daß die Wirklichkeit eine einzige ist, unbeweglich und unveränderlich. Pluralität, Veränderung und Bewegung sind lediglich Sinnestäuschungen.
Schildkröte: Das ist ja wirklich Zeno — klar zu erkennen. Aber wie kam er dazu, sich in Zen zu verstricken, der arme Kerl?
Achilles: Waaas? So würde ich es nicht ausdrücken. Wenn JEMAND sich verstrickt hat, so ist es ... Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls weiß ich die Antwort auf diese Frage nicht. Lassen Sie mich statt dessen etwas über die Lehre meines Meisters berichten. Ich habe gelernt, wie man im Zen Erleuchtung oder S ATORI den Zustand des „Nicht-Denkens“ sucht. In diesem Zustand denkt man nicht über die Welt nach, man IST einfach. Zudem habe ich gelernt, daß ein Zen-Schüler sich nicht an einen Gegenstand oder einen Gedanken oder einen Menschen „hingeben“ soll, und das bedeutet, daß man nicht an ein Absolutes glauben und sich nicht darauf verlassen darf, nicht einmal auf diese Philosophie des Nicht-Hingebens.
Schildkröte: Hm, DAS ist etwas, was mir an Zen gefallen könnte.
Achilles: Ich hatte gleich so eine Ahnung, daß Sie sich dem hingeben könnten.
Schildkröte: Aber sagen Sie mir: Wenn Zen intellektuelle Tätigkeit ablehnt, ist es dann sinnvoll, sich intellektuell mit Zen zu beschäftigen? Es exakt zu studieren?
Achilles: Die Sache hat mich sehr beschäftigt. Aber ich habe, glaube ich, endlich eine Antwort gefunden. Mir scheint, daß man sich Zen auf irgendeinem Pfad, den man kennt, nähern kann, sogar wenn dieser in völligem Widerspruch zu Zen steht. Indem man sich ihm nähert, lernt man allmählich, vom Pfad abzugehen. Je mehr man vom Pfad abgeht, um so näher kommt man Zen.
Schildkröte: Oh, allmählich sind alle Unklarheiten restlos beseitigt.
Achilles: Mein Lieblingspfad zu Zen führt über die kurzen, faszinierenden und unheimlichen Zen-Parabeln, die man „Kōan“ nennt.
Schildkröte: Was ist ein Kōan?
Achilles: Ein Kōan ist eine Geschichte über Zenmeister und ihre Schüler. Manchmal ist eine solche rätselhaft, dann wieder wie eine Fabel, und dann klingt sie wiederum wie nichts, was man jemals gehört hat.
Schildkröte: Klingt ja hochinteressant. Könnte man sagen, daß Kōans zu lesen und zu genießen bedeutet, daß man Zen praktiziert?
Achilles: Das bezweifle ich. Jedoch ist man meiner Meinung nach, wenn man Freude an Kōans hat, dem wirklichen Zen millionenfach näher, als wenn man über Zen einen in schwerem philosophischen Jargon geschriebenen Wälzer nach dem anderen sich einverleibt.
Schildkröte: Ich würde gerne einen oder zwei Kōans hören.
Achilles: Und ich würde Ihnen gerne einen oder zwei erzählen. Vielleicht sollte ich mit dem allerberühmtesten beginnen. Vor vielen Jahrhunderten lebte ein Zenmeister namens Jōshū, der 119 Jahre alt wurde.
Schildkröte: Fast noch ein Jüngling.
Achilles: Nach Ihren Maßstäben gewiß. Eines Tages stand also Jōshū zusammen mit einem anderen Mönch im Kloster, als eine Dogge vorbeilief. Der Mönch fragte Jōshū: Hat eine Dogge Buddha-Natur oder nicht?
Schildkröte: Was immer das sein mag. Also sagen Sie mir, was antwortete Jōshū?
Achilles: „MU“.
Schildkröte: „MU“? Was heißt das: „MU“? Was ist mit der Dogge? Was ist mit der Buddha-Natur? Wie lautet die Antwort?
Achilles: Nun — „MU“ ist Jōshūs Antwort. Indem er „MU“ sagt, gibt Jōshū dem anderen Mönch zu verstehen, daß man die Antwort auf die Frage nur wissen kann, indem man nicht fragt.
Schildkröte: Jōshū „un-fragte“ die
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