Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Ignorant bin.
Achilles: Ich habe auch noch nichts davon gehört — und ich kenne mich auf diesem Gebiet ziemlich gut aus — wenn ich das mal so sagen darf. Ich nehme an, Herr S. bereitet wieder einen seiner ausgefuchsten Scherze vor. Ich kenne ihn allmählich ziemlich gut.
Abb. 63 . Während ihrer Wanderungen bauen Ameisen manchmal Brücken aus ihren eigenen Körpern. Auf diesem Foto einer solchen Brücke (de Fourmi Lierre) kann man sehen, wie die Arbeiter einer Eciton-burchelli -Kolonie ihre Beine miteinander verschränken, entlang der Oberseite der Brücke ihre Klauen zusammenhaken und so ein unregelmäßiges Kettensystem bilden. Ein symbiotischer Silberfisch, Trichatelura manni, überquert die Brücke (Mitte). [Aus: E. O. Wilson, The Insect Societies, Cambridge, Mass. 1971, S. 62.]
Ameisenbär: Apropos Zahlentheorie — das erinnert mich wieder an J. S. F., denn die Zahlentheorie ist eine der Disziplinen, in denen er sich besonders auszeichnete. Er machte sogar einige recht bemerkenswerte Beiträge zur Zahlentheorie. Tante Colonia dagegen ist bemerkenswert schwer von Begriff in allem, was auch nur entfernt mit Mathematik zu tun hat. Auch ist ihr musikalischer Geschmack recht banal, wogegen Sebastiameise außerordentlich musikalisch war.
Achilles: Ich liebe die Zahlentheorie sehr. Könnten Sie uns etwas über Sebastiameises Beitrag erzählen?
Ameisenbär: Also gut. (Hält einen Augenblick inne, um einen Schluck Tee zu trinken, und fährt dann fort.) Haben Sie jemals von Fourmis berüchtigter ,,Wohlgetesteter Konjektur“ gehört?
Achilles: Ich bin nicht sicher ... Es klingt merkwürdig vertraut, und doch kann ich im Augenblick nichts damit anfangen.
Ameisenbär: Es ist ganz einfach. Lierre de Fourmi, Mathameisiker von Beruf, aber Jurist aus Berufung, hatte in seinem Exemplar des klassischen Textes Arithmetica des Dio van Tus gelesen und war dabei auf eine Seite gestoßen mit der Formel
2 a + 2 b = 2 c
Er sah sofort, daß die Gleichung unendlich viele Lösungen für a, b, und c besitzt, und dann schrieb er den folgenden berüchtigten Kommentar an den Rand:
Die Gleichung
n a + n b = n c
hat Lösungen in positiven ganzen Zahlen a, b, c und n nur wenn n = 2 (und es gibt unendlich viele Dreiergruppen a, b, c, die diese Gleichung erfüllen); aber für n > 2 gibt es keine Lösungen. Ich habe einen wahrhaft wunderbaren Beweis für diese Vermutung entdeckt, der unglücklicherweise jedoch so klein ist, daß er beinahe unsichtbar wäre, wenn ich ihn an den Rand schriebe.
Seit jenem Jahr vor gut dreihundert Tagen haben Mathameisiker vergeblich versucht, eines von zwei Dingen zu tun: entweder Fourmis Vermutung zu beweisen und so Fourmis Ruf zu verteidigen, der, obgleich sehr hoch, von Skeptikern etwas bezweifelt wird, die glauben, daß er den angeblich von ihm gefundenen Beweis in Wirklichkeit nie gefunden habe — oder dann die Vermutung zu widerlegen, indem man ein Gegenbeispiel findet: einen Satz von vier ganzen Zahlen a, b, c, und n, wobei n > 2, die die Gleichung erfüllen. Bis vor kurzem ist jeder Versuch in beide Richtungen gescheitert. Gewiß ist die Vermutung für viele spezifische Werte von n verifiziert worden, insbesondere für alle n bis 125000. Aber niemand hat es vermocht, für ALLE n den Beweis zu führen — niemand, das heißt, bis Johameise Sebastiameise Fermeise die Szene betrat. Er war es, der den Beweis fand, der Fourmis Name von jedem Makel reinigte. Er läuft jetzt unter dem Namen „Johameise Sebastiameise Wohlgetestete Konjektur“.
Achilles: Sollte man nicht eher von einem „Satz“ als von einer „Konjektur“ oder „Vermutung“ sprechen, wenn schließlich ein richtiger Beweis gefunden wurde?
Ameisenbär: Genau genommen haben Sie recht, aber man hat eben die überlieferte Bezeichnung beibehalten.
Schildkröte: Was für Musik hat Sebastiameise geschrieben?
Ameisenbär: Er war ein sehr begabter Komponist. Leider ist sein größtes Werk geheimnisumwittert, da er nie dazu kam, es zu veröffentlichen. Einige glauben, daß er das ganze in seinem Kopf hatte; andere sind weniger freundlich und behaupten, daß er es wahrscheinlich überhaupt nie ausgearbeitet, sondern nur damit geprahlt habe.
Achilles: Welcher Art war dieses Opus magnum?
Ameisenbär: Er sollte ein gigantisches „Präludium und Fuge“ werden; die Fuge sollte 24 Stimmen haben und 24 Themen, eines in jeder der Dur- und Moll-Tonarten.
Achilles: Es wäre gewiß schwierig, sich eine 24stimmige Fuge als ganzes
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