Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
65). Von ihnen gibt es etwa 10 Milliarden. (Merkwürdigerweise gibt es von den Glia-Zellen, oder Glia, zehnmal soviel. Man nimmt an, daß sie den Neuronen gegenüber eine untergeordnete Rolle spielen, und wir besprechen sie deshalb hier nicht.) Jedes Neuron besitzt eine Anzahl von Synapsen (Eingänge) und ein Axon (Ausgang). Input und Output sind elektrochemische Ströme, d. h. Ionen in Bewegung. Zwischen den Eingängen eines Neurons und seinem Output-Kanal befindet sich der eigentliche Zellkörper, in dem die „Entscheidungen“ fallen. Die Entscheidung, der sich ein Neuron gegenübersieht, und das kann bis zu tausend Mal in der Sekunde geschehen, ist diese: sich erregen oder nicht, d. h. Ionen längs des Axons freizusetzen, die schließlich in die Eingänge einer oder mehrerer anderer Neuronen gelangen und sie veranlassen, eine Entscheidung der gleichen Art zu fällen. Das geschieht auf sehr einfache Art: Wenn die Summe aller Inputs einen gewissen Schwellenwert überschreitet: ja, sonst: nein. Gewisse Inputs können negativ sein, und die anderen positiven Inputs, die von irgendwo anders herkommen, auslöschen. Auf jeden Fall ist es einfach Addition, die das Denken auf seiner tiefsten Stufe beherrscht. Um Descartes berühmtes Wort zu variieren: „Ich denke, also sum(miere) ich.“ (vom lateinischen Cogito, ergo bin).
Nun sieht diese Methode, Entscheidungen zu treffen, sehr einfach aus, aber da ist ein Umstand, der das Problem kompliziert: Ein Neuron kann bis zu 200 000 verschiedene Eingänge haben, und das bedeutet, daß bis zu 200 000 verschiedene Summanden an der Bestimmung der nächsten Handlung des Neurons beteiligt sein können. Ist die Entscheidung getroffen, so jagt eine Schar von Ionen entlang des Axons bis zum Ende. Bevor jedoch die Ionen das Ende erreichen, ist es möglich, daß sie auf eine oder mehrere Abzweigungen stoßen. In solchen Fällen teilt sich der Output, während er sich dem Axon entlang fortbewegt, und wenn er das Ende erreicht hat, ist aus der Einzahl eine Mehrzahl geworden. Sie können ihr Ziel zu verschiedenen Zeitpunkten erreichen, da die Axonzweige, auf denen sie sich fortbewegen, von verschiedener Länge sein und verschiedene Widerstände haben können. Das Wichtige ist aber, daß
Abb. 65 . Schematische Zeichnung eines Neurons. [Aus: D. Wooldridge, The Machinery of the Brain, New York 1963, S. 6.]
das alles als ein einziger Stoß weg vom Zellkörper begonnen hat. Wenn ein Neuron sich erregt, braucht es eine kurze Zeit der Erholung, bevor es sich wieder erregen kann; üblicherweise wird das in Millisekunden gemessen, so daß sich ein Neuron bis zu tausendmal in der Sekunde erregen kann.
Größere Strukturen im Gehirn
Damit haben wir die „Ameisen“ im Gehirn beschrieben. Wie steht es mit den „Teams“, den „Signalen“? Wie mit den „Symbolen“? Wir machen die folgenden Beobachtungen: trotz der Komplexheit des Inputs kann ein einziges Neuron nur auf sehr primitive Art reagieren: Erregung oder keine Erregung. Das ist eine sehr geringe Informationsmenge. Gewiß müssen hier für die Beförderung und Verarbeitung großer Informationsmengen viele Neuronen beteiligt sein. Und deshalb läßt sich vermuten, daß größere, aus vielen Neuronen zusammengesetzte Strukturen existieren müssen, die Begriffe
Abb. 66 . Das menschliche Gehirn, von links gesehen. Es ist seltsam, daß sich der Sehbereich hinten im Kopf befindet. [Aus: Steven Rose, The Conscious Brain, New York 1966, S. 50.]
höherer Ordnung verarbeiten können. Das ist zweifellos sehr wichtig, aber die naivste Annahme — daß es eine feststehende Gruppe von Neuronen für jeden Begriff gibt — ist fast mit Sicherheit falsch.
Man kann viele anatomische Hirnbereiche voneinander unterscheiden, wie Großhirn, Kleinhirn, Hypothalamus (s. Abb. 66). Das Großhirn bildet den größten Teil des menschlichen Hirns, und es ist unterteilt in eine linke und eine rechte Hälfte. Die äußeren paar Millimeter beider Hälften bestehen aus einer aus verschiedenen Schichten zusammengesetzten „Rinde“, der Großhirnrinde oder dem Kortex. Wieviel Hirnrinde vorhanden ist, ist anatomisch gesehen das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen dem menschlichen Gehirn und dem weniger intelligenter Arten. Wir werden keine der Unterorgane des Hirns im Detail beschreiben, da sich zeigt, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur eine ganz grobe Abbildung zwischen solchen großmaßstäblichen Unterorganen und den geistigen und physischen Aktivitäten, für
Weitere Kostenlose Bücher