Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
seinem letzten Aufsatz In Search of the Engram („Auf der Suche nach dem Engramm“), der 1950 erschien, ziemlich verdrossen, der einzig mögliche Schluß sei der, daß Gedächtnis überhaupt nicht möglich sei. 2
Merkwürdigerweise wurden ungefähr zu derselben Zeit, in der Lashley seine letzten Arbeiten veröffentlichte, nämlich in den späten vierziger Jahren, in Kanada Anhaltspunkte für den entgegengesetzten Standpunkt gefunden. Der Neurochirurg Wilder Penfield prüfte die Reaktionen von Patienten mit Gehirnoperationen, indem er Elektroden in verschiedene Teile ihres Gehirns einführte und dann mit kleinen elektrischen Stromstößen das Neuron oder die Neuronen stimulierte, an dem die Elektroden befestigt waren. Diese Stöße ähnelten jenen, die von anderen Neuronen kommen. Penfield fand, daß die Stimulation gewisser Neuronen zuverlässig spezifische Bilder oder Empfindungen im Patienten hervorriefen. Diese künstlich evozierten Eindrücke erstreckten sich von seltsamen, aber undefinierbaren Ängsten zu Summtönen und Farben und — am allereindrücklichsten — zu ganzen Folgen von Erlebnissen aus einer früheren Zeit, wie etwa ein Geburtstagsfest in der Kindheit. Die Anzahl von Stellen, die die spezifischen Ereignisse auslösen konnten, waren außerordentlich gering — im Grunde auf ein einziges Neuron konzentriert. Nun stehen diese Ergebnisse von Penfield in dramatischem Gegensatz zu denen von Lashley, da sie anscheinend implizieren, daß eben doch bestimmte Bereiche die Träger spezifischer Erinnerungen sind.
Was kann man daraus schließen? Eine mögliche Erklärung könnte sein, daß Erinnerungen lokal codiert werden, aber immer und immer wieder an verschiedenen Stellen der Großhirnrinde — vielleicht ein im Zuge der Evolution als Absicherung gegen denallfälligen Verlust von Großhirnrinde bei Kämpfen oder bei von Neurophysiologen durchgeführten Experimenten entwickelte Strategie. Eine andere Erklärung wäre, daß Erinnerungen aus dynamischen Prozessen rekonstruiert werden können, die sich über das ganze Gehirn erstrecken, aber von einzelnen lokalen Punkten aus ausgelöst werden können. Diese Theorie fußt auf dem Prinzip moderner Telefonnetze, bei denen nicht vorhergesagt werden kann, über welche Leitung ein Ferngespräch geführt werden soll, denn diese wird zu dem Zeitpunkt ausgewählt, wenn das Gespräch angemeldet wird, und hängt von der Situation im ganzen Land ab. Würde ein örtlich beschränkter Teil des Netzes zerstört, so würde das die Gespräche nicht blockieren; es würde nur bedeuten, daß sie am beschädigten Teil vorbei umgeleitet würden. In diesem Sinne ist jeder Anruf potentiell unlokalisierbar. Und doch verbindet jeder Anruf zwei spezifische Punkte miteinander — in diesem Sinne läßt sich jeder Anruf lokalisieren.
Spezifizität bei visuellen Vorgängen
Einige der interessantesten und bedeutendsten Arbeiten über die Lokalisierung von Gehirnprozessen haben während der letzten fünfzehn Jahre David Hubel und Torsten Wiesel in Harvard durchgeführt. Sie sind den Kanälen für visuelle Wahrnehmungen im Gehirn von Katzen nachgegangen. Sie begannen mit Neuronen in der Netzhaut, verfolgten ihre Verbindungen zum Hinterkopf, durchliefen die „Relaisstation“ des Corpus geniculatum laterale und endeten im Sehkortex ganz hinten im Gehirn. Zunächst ist es in Anbetracht von Lashleys Ergebnissen bemerkenswert, daß es wohldefinierte neurale Pfade überhaupt gibt. Noch bemerkenswerter sind die Eigenschaften der Neuronen, die sich an verschiedenen Punkten des Pfads befinden.
Es stellt sich heraus, daß die Neuronen der Netzhaut in erster Linie Kontrastsensoren sind. Genauer gesagt, sie verhalten sich so. Jedes Neuron der Netzhaut erregt sich üblicherweise mit einer gewissen „Normalgeschwindigkeit“. Wird sein Teil der Netzhaut von Licht getroffen, wird es sich entweder schneller oder langsamer oder sogar gar nicht erregen. Es wird das jedoch nur unter der Voraussetzung tun, daß die Umgebung weniger erleuchtet ist. Es gibt also zwei Typen von Neuronen: die on-center- und die off-center-Neuronen. Die on-center-Neuronen sind die, deren Erregungsgeschwindigkeit zunimmt, wenn immer in dem kleinen kreisförmigen Teil der Netzhaut, für den sie empfindlich sind, der Mittelpunkt hell, der Randbezirk aber dunkel ist. Die off-center-Neuronen sind diejenigen die sich schneller erregen, wenn im Zentrum Dunkelheit, im äußeren Ring aber Helligkeit herrscht. Wenn einem
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