Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
offcenter-Neuron ein on-center-Muster gezeigt wird, verlangsamt das Neuron die Erregung (und umgekehrt). Gleichmäßige Beleuchtung läßt beide Arten von Netzhaut-Neuronen ungerührt; beider Erregungsgeschwindigkeit wird normal bleiben.
Von der Netzhaut gehen die Signale über den Sehnerv zum Corpus geniculatum, das irgendwo in der Nähe der Hirnmitte liegt. Dort läßt sich eine direkte Abbildung von der Oberfläche der Netzhaut finden — in dem Sinn, daß es Corpus-geniculatum-Neuronen gibt, die nur durch spezifische Reize, die auf spezifische Teile der Netzhaut fallen,ausgelöst werden. In diesem Sinne ist das Corpus geniculatum enttäuschend; anscheinend ist es nur eine „Relaisstation“ und kein weiterer „Bearbeiter“ (obgleich gerechterweise gesagt werden muß, daß die Kontrastempfindlichkeit im Corpus geniculatum anscheinend gesteigert wird). Das Bild auf der Netzhaut wird auf unkomplizierte Weise in den Erregungsmustern der Neuronen des Corpus geniculatum codiert, und das trotz der Tatsache, daß die Neuronen dort nicht auf einer zweidimensionalen Oberfläche in der Form der Netzhaut angeordnet sind, sondern in einem dreidimensionalen Block. Zwei Dimensionen werden somit auf drei abgebildet, aber die Information bleibt dennoch gewahrt: eine Isomorphie. Es liegt wahrscheinlich eine tiefe Bedeutung in der Änderung der Dimensionalität der Darstellung, über die wir uns noch nicht im klaren sind. Auf jeden Fall gibt es so viele weitere unerklärte Stadien des Sehvorgangs, daß wir nicht enttäuscht, sondern über die Tatsache froh sein sollten, daß wir — bis zu einem gewissen Grad — hier wenigstens ein Stadium erklärt haben!
Vom Corpus geniculatum gehen die Signale weiter zum Sehkortex. Hier erfolgt die weitere Verarbeitung. Die Zellen des Sehkortex werden in drei Kategorien aufgeteilt: einfache, komplexe und hyperkomplexe. Einfache Zellen verhalten sich wie Netzhautzellen oder solche des Corpus geniculatum, sie reagieren auf punktförmige helle oder dunkle Flecken mit kontrastierender Umgebung in besonderen Bereichen der Netzhaut. Komplexe Zellen dagegen erhalten im allgemeinen einen Input von hundert oder noch mehr anderen Zellen, und sie entdecken helle oder dunkle Bänder, die in bestimmten Winkeln auf der Netzhaut angeordnet sind (s. Abb. 67). Hyperkomplexe Zellen regieren auf Eckpunkte, Bänder oder sogar „Zungen“, die sich in bestimmte Richtungen bewegen (s. wieder Abb. 67). Diese letztgenannten Zellen sind so hoch spezialisiert, daß man sie manchmal „hyperkomplexe Zellen höherer Ordnung“ nennt.
Eine „Großmutter-Zelle“?
Als Folge der Entdeckung von Zellen im Sehkortex, die durch Reize ständig wachsender Komplexität erregt werden können, hat man sich gefragt, ob nicht das ganze in die Richtung von „eine Zelle — ein Begriff“ deutet — zum Beispiel hätten Sie dann eine Großmutter-Zelle, die dann, und nur dann, sich erregt, wenn Ihre Großmutter auf der Bildfläche erscheint. Dieses eher humoristische Beispiel einer „superhyperkomplexen“ Zelle ist nicht sehr ernst gemeint. Doch es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Alternativtheorie vernünftig erscheint. Eine Möglichkeit wäre, daß größere neurale Netze durch genügend komplexe optische Reize kollektiv erregt werden. Natürlich müßte die Auslösung dieser größeren und aus vielen Neuronen bestehenden Einheiten irgendwie von der Aufnahme von Signalen herrühren, die von vielen hyperkomplexen Zellen stammen. Aber wie das vor sich gehen könnte, weiß niemand. Gerade wenn wir uns der Schwelle zu nähern scheinen, wo aus dem „Signal“ ein „Symbol“ entstehen könnte, verliert sich die Spur — eine quälend unvollendete Geschichte. Wir werden in Kürze darauf zurückkommen und versuchen, einiges davon zu vervollständigen.
Weiter oben habe ich schon die grobkörnige Isomorphie aller menschlichen Gehirne erwähnt, die auf einer großen anatomischen Skala existiert, und die sehr feinkörnige
Abb. 67 . Reaktionen von gewissen Neuronen auf Muster:
1)
Dieses Neuron sucht nach senkrechten Kanten, links hell, rechts dunkel. Die erste Spalte zeigt, daß die Ausrichtung einer Kante für dieses Neuron maßgeblich ist. Die zweite Spalte zeigt, daß die Lage innerhalb des Felds für dieses besondere Neuron unwichtig ist.
2)
Dies zeigt, wie eine hyperkomplexe Zelle differenzierter reagiert: in diesem Fall nur, wenn die absteigende „Zunge“ sich in der Mitte des Felds befindet.
3)
Die Reaktionen einer
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