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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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Großmutterzelle oder einer Art multineuralen Netzwerks gipfeln würde, wie oben erwähnt. Klar ist, daß das nicht bei einer groben anatomischen Aufteilung des Gehirns gefunden werden wird, sondern eher in einer Analyse mikroskopischer Natur.
    Eine mögliche Alternative zur Großmutter-Zelle wäre ein fester Satz von Neuronen, sagen wir ein paar Dutzend, am engen Ende des „Trichters“, die alle sich erregen, wenn Oma erscheint. Und für jedes einzelne erkennbare Objekt gäbe es ein einzigartiges Netz und einen „Trichterprozeß“, der auf dieses Netz konzentriert wäre. Es gibt noch kompliziertere Alternativen ähnlichen Aufbaus, einschließlich solcher Netzwerke, die auf verschiedene Arten anstatt nur in feststehender Weise angeregt werden können. Solche Netze wären dann die „Symbole“ in unserem Gehirn.
    Ist aber ein solcher Trichter notwendig? Vielleicht wird ein Gegenstand, den man betrachtet, implizit durch seine „Signatur“ im Sehkortex identifiziert, d. h. durch die Reaktion von einfachen, komplexen und hyperkomplexen Zellen zusammengenommen. Vielleicht braucht das Gehirn gar keine weiteren Erkennungsinstrumente für eine besondere Form. Diese Theorie führt aber zu folgendem Problem: Nehmen wir an, wir betrachten eine Szene. Sie prägt ihre Signatur auf den Sehkortex — aber wie gelangt man von dieser Signatur zu einer verbalen Beschreibung der Szene? Zum Beispiel verlangen die Bilder des französischen Post-Impressionisten Edouard Vuillard ein paar Sekunden genauer Betrachtung, und dann springt Ihnen plötzlich eine menschliche Gestalt ins Auge. Vermutlich wird die Signatur im ersten Bruchteil einer Sekunde dem Sehkortex aufgeprägt — aber verstanden wird dieses Bild erst nach ein paar Sekunden. Das ist nur ein Beispiel für ein tatsächlich sehr allgemeines Phänomen — das Gefühl, daß im Augenblick des Erkennens etwas im Geist „kristallisiert“, und zwar nicht, wenn die Lichtstrahlen auf die Netzhaut treffen, sondern etwas später, nachdem ein Teil unserer Intelligenz Gelegenheit gehabt hat, auf die Signale der Netzhaut zu reagieren.
    Die Metapher der Kristallisation ergibt ein hübsches, von der statistischen Mechanik abgeleitetes Bild — Myriaden von mikroskopischen und unzusammenhängenden Aktivitäten in einem Medium, die langsam hie und da zusammenhängende Regionen schaffen, die sich ausbreiten und wachsen; schließlich werden die Myriaden geringfügiger Ereignisse eine vollständige strukturelle Umstellung ihres Mediums von unten nach oben bewirkt haben, so daß aus einer chaotischen Anhäufung unabhängiger Elemente eine große zusammenhängende und gegliederte Struktur entsteht. Wenn man sich die ursprünglichen neuralen Aktivitäten als voneinander unabhängig vorstellt, und das Endprodukt ihrer vielen unabhängigen Erregungen als die Auslösung eines wohldefinierten großen „Moduls“ von Neuronen, dann scheint das Wort „Kristallisation“ sehr passend.
    Ein anderes Argument für die „Trichter“-Theorie beruht auf der Tatsache, daß es Myriaden von Einzelszenen gibt, die veranlassen können, daß man denkt, man habe das gleiche Objekt wahrgenommen — zum Beispiel die Großmutter, die lächelt oder zürnt, einen Hut trägt oder auch keinen, in einem hellen Garten oder in einem dunklen Bahnhof, von nahe oder von ferne betrachtet, von vorn oder von der Seite,usw. All diese Szenen ergeben völlig verschiedene Signaturen auf dem Sehkortex; aber alle können uns veranlassen: „Hallo, Oma!“ zu sagen. Es muß also an einem gewissen Punkt — nach der Aufnahme der visuellen Signatur und bevor die Wörter ausgesprochen werden — ein Trichterprozeß stattgefunden haben. Nun könnte man behaupten, daß dieser Trichter nicht ein Teil unserer Wahrnehmung von Oma, sondern einfach ein Teil der Verbalisierung sei. Es scheint aber ganz unnatürlich, den Vorgang auf diese Weise aufzuteilen, denn man könnte die Information, daß das Oma ist, „intern“ gebrauchen, ohne sie zu verbalisieren. Es wäre höchst unhandlich, alle Information im Sehkortex zu verarbeiten, wenn doch soviel von ihr weggeworfen werden kann. Es ist ja unwichtig, wie die Schatten fallen oder wieviele Knöpfe an Omas Bluse sind, usw.
    Eine weitere Schwierigkeit der Theorie, daß kein Trichterprozeß stattfindet ist die, daß sie erklären muß, wie es möglich ist, einzelne Signaturen verschieden zu interpretieren, zum Beispiel Eschers Bild Konkav und Konvex ( Abb. 23 ). Genauso wie es uns

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