Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Botschaften klug werden;
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die relative Wichtigkeit verschiedener Elemente in einer Situation erkennen;
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trotz trennender Unterschiede Ähnlichkeiten zwischen Situationen finden;
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trotz Ähnlichkeiten, die sie zu verbinden scheinen, zwischen Situationen unterscheiden können;
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neue Begriffe herstellen, indem man alte Begriffe auf neuartige Weise zusammenfügt;
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Ideen haben, die neuartig sind.
Hier stößt man anscheinend auf eine Paradoxie. Computer sind ihrer Natur nach die unbeweglichsten, wunschlosesten, regeltreuesten Tiere. So schnell sie auch arbeiten mögen, sind sie dennoch der Inbegriff des Nicht-bewußt-seins: wie kann man also intelligentes Verhalten programmieren? Ist das nicht die eklatanteste Contradictio in adjecto? Eines der Hauptthemen dieses Buches ist, daß hier überhaupt keine Kontradiktion vorliegt. Eines der Hauptziele dieses Buches ist es, jeden Leser dazu zu bringen, dieser scheinbaren Kontradiktion frontal zu begegnen, ihn zu genießen, hin- und herzuwenden, ihn auseinanderzunehmen, sich in ihm zu wälzen, so daß er am Ende mit neuen Einsichten in die anscheinend unüberbrückbare Kluft zwischen formal und informell, beseelt und unbeseelt, beweglich und unbeweglich aus der Lektüre hervorgeht.
Darum geht es bei der Erforschung der „Artifiziellen Intelligenz“ (AI). Und das seltsame Flair der AI-Forschung liegt darin, daß man versucht, lange Reihen von Regeln und strengen Formalismen zusammenzustellen, die den unbeweglichen Maschinen sagen, wie sie beweglich sein können.
Indessen: was für „Regeln“ könnten alles, was wir als intelligentes Verhalten betrachten, einfangen? Sicherlich muß es Regeln auf allen möglichen Ebenen geben. Es muß „ganz einfache“ Regeln geben. Es muß „Metaregeln“ geben, um die „ganz einfachen“ zu modifizieren, dann „Metametaregeln“, um die Metaregeln zu modifizieren usw. Die Beweglichkeit der Intelligenz rührt von der riesigen Anzahl verschiedener Regeln und Stufen dieser Regeln her. Und der Grund, warum es so viele Regeln auf sovielen Stufen geben muß, ist der, daß ein Lebewesen in seinem Leben sich Millionen von Situationen völlig verschiedener Art gegenübersieht. Bei einigen Situationen gibt es stereotype Reaktionen, die „ganz einfache“ Regeln verlangen. Gewisse Situationen sind Mischungen von stereotypen Situationen; sie verlangen also Regeln, um zu entscheiden, welche der „ganz einfachen“ Regeln anzuwenden sind. Einige Situationen sind nicht klassifizierbar; es muß also Regeln für das Erfinden neuer Regeln geben ... usw. usw. Ohne Zweifel stehen Seltsame Schleifen, die Regeln verlangen, die sich selbst direkt oder indirekt ändern, im Zentrum der Intelligenz. Manchmal kommt uns die Komplexität unseres Denkens so überwältigend vor, daß wir das Gefühl haben, es könne für das Problem, Intelligenz zu verstehen, keine Lösung geben — daß die Annahme falsch ist, Regeln irgendwelcher Art bestimmten das Verhalten eines Lebewesens, selbst wenn man „Regel“ in dem vielstufigen oben beschriebenen Sinn versteht.
... und Bach
Im Jahre 1754, vier Jahre nach J. S. Bachs Tod, schrieb der Leipziger Theologe Johann Michael Schmidt in einer Abhandlung über Musik und die Seele die folgenden bemerkenswerten Sätze:
Vor nicht vielen Jahren ist aus Frankreich berichtet worden, daß einer eine Statue gemacht habe, welche auf der Fleuttraversiere verschiedene Stückgen abbläst, die Flöte an- und absetzt, die Augen verdrehet, u.s.w. Aber ein denkendes, ein wollendes, ein componirendes Bild hat noch keiner erfunden, nicht einmal etwas dem ähnliches. Wer sich recht überzeugen will, der beliebe des vorhin belobten Bachs in Kupferstich herausgekommenes letztes Fugenwerk, welches aber durch seine darzwischen gekommene Blindheit unterbrochen worden ist, recht anzusehen, und die darinnen liegende Kunst anzumerken; oder, welches ihm noch wunderbarer vorkommen muß, den in seiner Blindheit von ihm einem andern in die Feder dictirten Choral: Wenn wir in höchsten Nöthen seyn. Ich bin gewiß, er wird gar bald seiner Seele nöthig haben, wenn er alle angebrachte Schönheiten einsehen, geschweige wenn er selbst spielen oder von dem Verfertiger urtheilen will. Was die Verfechter des Materialismi vorbringen, muß alles bey diesem einzigen Exempel übern Haufen fallen. 6
Wahrscheinlich war der wichtigste der „Verfechter des Materialismi“, von dessen Schmidt hier spricht, kein anderer als Julien Offroy de la Mettrie, ein
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