Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
eine globale Folge davon, wie das Programm arbeitet, kein lokales Detail. Mit anderen Worten: ein Stück rein prozeduralen Wissens ist ein Epiphänomen.
Bei den meisten Menschen existiert neben einer starken prozeduralen Grammatik ihrer Muttersprache eine schwächere deklarative Repräsentation von ihr. Die beiden können leicht miteinander in Konflikt geraten, so daß der muttersprachliche Sprecher einen Ausländer oft lehren wird, Dinge zu sagen, die er selbst niemals sagen würde, die also nur mit dem deklarativen „Bücherwissen“ übereinstimmen, das er einmal in der Schule erworben hat. Die intuitiven und „geballten“ Gesetze der Physik und anderer Disziplinen, von denen immer wieder die Rede war, gehören zum größten Teil auf die prozedurale Seite; das Wissen, daß ein Oktopode acht Fangarme hat, gehört hauptsächlich auf die deklarative Seite.
Zwischen den deklarativen und prozeduralen Extremen gibt es allerhand mögliche Schattierungen. Denken wir daran, wie man sich eine Melodie ins Gedächtnis zurückruft. Ist die Melodie Note um Note in Ihrem Gehirn gespeichert? Könnte ein Chirurg eine gewundene neurale Faser Ihrem Gehirn entnehmen, sie dann geradestrecken und schließlich auf ihr die nacheinander gespeicherten Noten identifizieren — fast so als wäre es ein Stück eines Tonbands? Wenn ja, dann sind die Melodien deklarativ gespeichert. Oder wird der Rückruf einer Melodie durch die Interaktion einer großen Anzahl von Symbolen vermittelt, von denen einige klangliche Beziehungen, andere emotionale Qualitäten, andere die rhythmischen Einzelheiten repräsentieren, usw. Wenn ja, dann sind die Melodien prozedural gespeichert. Wahrscheinlich liegt in Wirklichkeit bei der Art und Weise, wie eine Melodie gespeichert und abgerufen wird, eine Mischung dieser Extreme vor.
Interessant ist, daß die meisten Leute, wenn sie eine Melodie aus ihrem Gedächtnis herausholen, sich über die Tonart keine Gedanken machen, so daß sie „Hänschen klein“ in F-Dur genauso gut wie in C singen können. Das weist daraufhin, daß eher die Beziehungen zwischen den Tönen, nicht die absoluten Töne gespeichert werden. Es gibt aber keinen Grund, warum Beziehungen zwischen Tönen nicht vollständig deklarativ gespeichert werden können. Andererseits lassen sich gewisse Melodien auch sehr leicht auswendig lernen, während andere außerordentlich schwer zu fassen sind. Wenn es sich nur um das Speichern aufeinanderfolgender Noten handelte, könnte jede Melodie gleich leicht gespeichert werden. Die Tatsache, daß gewisse Melodien eingänglich sind und andere nicht, scheint darauf hinzuweisen, daß das Gehirn ein gewisses Repertoire vertrauter Muster besitzt, die beim Hören der Melodie aktiviert werden. Um so nun die Melodie „wiederzugeben“, müßten diese Muster in der gleichen Reihenfolge aktiviert werden. Damit kommen wir zum Begriff der sich wechselseitig auslösenden Symbole zurück, anstelle einer einfachen linearen Folge von deklarativ gespeicherten Noten oder Beziehungen zwischen den Tönen.
Wie kann ein Gehirn wissen, ob ein Stück Wissen deklarativ gespeichert ist? Nehmen wir zum Beispiel an, daß man Sie fragte: „Wie groß ist die Bevölkerung von Frankfurt?“ Irgendwie fällt Ihnen die Zahl 650000 ein, ohne daß Sie sich fragten: „Wie würde ich es anstellen, alle zu zählen?“ Nun nehmen Sie an, ich fragte Sie: „Wieviele Stühle sind in Ihrem Wohnzimmer?“ Hier geschieht das Gegenteil — anstatt zu versuchen, die Antwort aus einem geistigen Nachschlagewerk herauszuholen, gehen Sie sofort in das Zimmer und zählen die Stühle, oder stellen sich das Zimmer vor und zählen die Stühle in diesem Zimmer in Ihrer Vorstellung. Die Fragen waren beide vom gleichen Typus — „Wieviel?“ — und doch bewirkte eine, daß man ein Stück deklarativen Wissens herbeiholt, während die andere bewirkt, daß eine prozedurale Methode zum Auffinden der Antwort zu Hilfe geholt wird. Dies ist ein Beispiel, bei dem es klar ist, daß Sie über Wissen darüber verfügen, wie Sie Ihr eigenes Wissen klassifizieren, und darüber hinaus kann etwas von diesem Metawissen prozedural gespeichert sein, so daß es verwendet wird, ohne daß Sie sich überhaupt dessen bewußt sind, wie das vor sich geht.
Bildliche Vorstellungen
Eine der bemerkenswertesten und am schwierigsten zu beschreibenden Eigenschaften des Bewußtseins ist die Fähigkeit, sich etwas bildlich vorzustellen. Wie erschaffen wir eine bildliche Vorstellung
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