Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
endlichen Berechnungen zu tun. Diese Kernwahrheiten leisten das Gleiche für N, was die ersten vier euklidischen Axiome für die Geometrie leisten: sie gestatten uns, gewisse Kandidaten noch vor Spielbeginn hinauszuwerfen, weil sie nicht „hinlänglich stark“ genug sind. Von nun an wird die Darstellbarkeit aller primitiv-rekursiven Wahrheiten das Kriterium dafür bilden, ob wir ein System „hinlänglich stark“ nennen.
Gantōs Axt in der Metamathematik
Die Bedeutung dieses Begriffs zeigt die folgende entscheidende Tatsache: Verfügt man über eine hinlänglich starke Formalisierung der Zahlentheorie, dann ist Gödels Methode anwendbar, und folglich ist das System unvollständig. Wenn andererseits das System nicht hinlänglich stark ist (d. h. nicht alle primitiv-rekursiven Wahrheiten S ÄTZE sind), dann ist das System eben dieses Mangels wegen unvollständig. Hier haben wir eine metamathematische Neufassung von „Gantōs Axt“: Was immer das System tut — Gödels Axt schlägt ihm den Kopf ab. Man achte auch darauf, wie genau das dem Kampf zwischen High- und Low-Fidelity im Contrakrostipunktus analog ist.
Es zeigt sich, daß viel schwächere Systeme durch Gödels Methode verwundbar sind; das Kriterium, daß alle primitiv-rekursiven Wahrheiten als S ÄTZE repräsentiert werden müssen, ist viel zu einschränkend. Das ist ein bißchen wie der Dieb, der nur „hinlänglich reiche“ Leute berauben will, und dessen Kriterium ist, daß das Opfer mindestens eine Million Mark in bar bei sich trage. Im Fall von TNT sind wir glücklicherweise in der Lage, als Diebe zu handeln, weil die Million in Bargeld da ist — was bedeutet, daß TNT tatsächlich alle primitiv-rekursiven Wahrheiten als S ÄTZE enthält.
Bevor wir uns nun in eine detaillierte Diskussion primitiv-rekursiver Funktionen und Prädikate stürzen, möchte ich zur besseren Begründung einen Zusammenhang zwischen dem Thema dieses Kapitels und den früheren Kapiteln herstellen.
Ordnung durch Wahl des richtigen Filters
Wir haben schon sehr früh erkannt, daß formale Systeme schwierige und ungebärdige Biester sind, weil sie Verlängerungs- und Verkürzungsregeln besitzen, die möglicherweise zu einer endlosen Suche unter den Ketten führen. Die Entdeckung der Gödelisierung zeigte, daß jede Suche nach einer Kette mit einer besonderen typographischen Eigenschaft einen arithmetischen „Vetter“ besitzt: eine isomorphe Suche nach einer Zahl mit einer entsprechenden arithmetischen Eigenschaft. Infolgedessen bedingt die Suche nach Entscheidungsverfahren für formale Systeme die Lösung des Geheimnisses von Suchaktionen, deren Länge sich nicht voraussagen läßt: Chaos herrscht unter den ganzen Zahlen! Nun habe ich in der Aria mit verschiedenen Veränderungen vielleicht zuviel Gewicht auf die Manifestationen des Chaos in Problemen gelegt, die ganze Zahlen betreffen. Tatsächlich hat man schon wildere Beispiele des Chaos als das des Problems der „Wundersamkeit“ gezähmt und dabei herausgefunden, daß es eigentlich ganz sanfte Biester waren. Dem starken Glauben des Achilles an die Gesetzmäßigkeit und Voraussagbarkeit von Zahlen wäre also mit nicht geringem Respekt zu begegnen zumal er der Ansicht fast aller Mathematiker bis in die dreißiger Jahre entspricht. Um zu zeigen, warum „Ordnung contra Chaos“ eine so subtile und wichtige Frage ist, und um sie mit Fragen über die Lokalisierung und Enthüllung von Bedeutung zu verknüpfen, möchte ich eine schöne und einprägsame Stelle aus Are Quanta Real? zitieren, einem galileischen Dialog von dem verstorbenen J. M. Jauch:
S ALVIATI : Nehmen wir an, daß ich Ihnen zwei Zahlenfolgen vorlege, z. B.
7 8 5 3 9 8 1 6 3 3 9 7 4 4 8 3 0 9 6 1 5 6 6 0 8 4 ...
und
1, -1/3, +1/5, -1/7, +1/9, -1/11, +1/13, -1/15, ...
Wenn ich Sie, Simplicio, fragte, was die nächste Zahl der ersten Folge sei, was würden Sie sagen?
S IMPLICIO : Ich wüßte es Ihnen nicht zu sagen. Das wird wohl eine Zufallsfolge ohne Gesetzmäßigkeit sein.
S ALVIATI : Und die zweite Folge?
S IMPLICIO : Das ist leicht. Der nächste Term muß 1/17 lauten.
S ALVIATI : Richtig. Was aber würden Sie sagen, wenn ich Ihnen sagte, daß die erste Folge ebenfalls nach einem Gesetz aufgebaut wurde und daß dieses Gesetz sogar mit dem identisch ist, das Sie soeben in der zweiten Folge entdeckt haben?
S IMPLICIO : Das kommt mir doch recht unwahrscheinlich vor.
S ALVIATI : Es ist aber tatsächlich so, da die erste Folge einfach der Anfang des
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