Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Spiels, herauszufinden, welcher der beiden anderen der Mann ist und welcher die Frau. Sie sind ihm unter den Etiketten X und Y bekannt, und am Schluß des Spiels sagt er entweder „X ist A und Y ist B“ oder aber: „X ist B und Y ist A“. Es ist dem Fragesteller erlaubt, A und B auf folgende Weise zu befragen:
C: „Kann X mir bitte die Länge seines oder ihres Haars nennen?“
Nehmen wir nun an, X sei tatsächlich A, dann muß A antworten. Das Ziel von A in diesem Spiel ist es, zu versuchen, C zu einer falschen Identifikation zu bringen. Seine Antwort könnte also lauten:
A: „Mein Haar ist stufig geschnitten, und die längsten Strähnen sind etwa 20 cm lang.“
Damit der Klang der Stimme dem Fragesteller keine Anhaltspunkte gibt, sollte die Antwort schriftlich oder, noch besser, getippt abgegeben werden. Ideal wäre es, wenn die beiden Zimmer durch einen Fernschreiber verbunden wären. Ansonsten könnten die Fragen und Antworten auch von einem Vermittler überbracht werden. Aufgabe des dritten Spielers (B) ist es, dem Befrager zu helfen. Die beste Strategie dürfte für ihn wohl darin bestehen, wahrheitsgemäße Antworten zu geben. Er kann seinen Antworten Dinge beifügen wie „Ich bin die Frau, höre nicht auf ihn“. Aber das fruchtet nichts, weil der Mann ähnliche Bemerkungen machen kann.
Nun stellen wir die Frage: „Was geschieht, wenn eine Maschine die Rolle von A in diesem Spiel übernimmt?“ Wird der Fragesteller, wenn das Spiel auf diese Weise gespielt wird, ebenso eine falsche Entscheidung treffen, wie wenn das Spiel von einem Mann und einer Frau gespielt wird? Diese Frage ersetzt unsere ursprüngliche Frage: „Können Maschinen denken?“ 2
Nachdem er das Wesen seines Tests dargelegt hat, geht Turing zu einigen Kommentaren über, die in Anbetracht des Zeitpunkts, zu dem sie geschrieben wurden, recht tiefschürfend sind. Zunächst präsentiert er einen kurzen hypothetischen Dialog zwischen Fragesteller und Befragten: 3
F:
Bitte schreiben Sie ein Sonett über das Thema der Forth-Brücke [eine Brücke über den Firth of Forth in Schottland].
A:
Da kann ich nicht mitmachen. Ich habe noch nie dichten können.
F:
Addieren Sie 34957 zu 70764.
A:
(Pause von etwa 30 Sekunden und dann die Antwort:) 105 621.
F:
Spielen Sie Schach?
A:
Ja.
F:
Ich habe den König auf e1 und keine anderen Figuren. Sie haben lediglich den König auf c3 und den Turm auf a8. Sie sind am Zug. Wie spielen Sie?
A:
(nach 15 Sekunden Pause:) ta8—a1, Schach.
Wenige Leser bemerken, daß die Lösung der Rechenaufgabe nicht nur ungebührlich viel Zeit in Anspruch nimmt, sondern daß zudem die Antwort falsch ist! Das wäre leicht zu erklären, wenn das Gegenüber ein Mensch wäre: einfach ein Rechenfehler. Ist es aber eine Maschine, so sind mehrere Erklärungen möglich; einige davon sind:
1)
ein Laufzeitfehler auf der Hardwarestufe (das heißt ein nicht wiederholbarer Zufall);
2)
ein unbeabsichtigter Hardware- (oder Programmierungs-)Irrtum, der (wiederholbare) arithmetische Fehler verursacht;
3)
eine vom Programmierer (oder Konstrukteur) in die Maschine eingebaute Falle zur Erzeugung arithmetischer Fehler, um so die Fragesteller hinters Licht zu führen;
4)
ein nicht vorhergesehenes Epiphänomen: dem Programm fällt es schwer,abstrakt zu denken, und es hat ganz einfach einen „ehrlichen Fehler“ begangen, den es das nächste Mal nicht mehr machen würde;
5)
ein Scherz der Maschine selbst, die den Befrager absichtlich foppt.
Wenn man darüber nachdenkt, was Turing mit diesem subtilen Ansatz gemeint haben könnte, führt uns das zu so ziemlich allen wichtigen philosophischen Problemen, die mit Artifizieller Intelligenz zu tun haben.
Turing fährt fort:
Das neue Problem hat den Vorteil, daß es eine ziemlich scharfe Trennungslinie zwischen den physischen und den intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen zieht ... Wir wollen die Maschine nicht für ihre Unfähigkeit, in Schönheitswettbewerben zu glänzen, bestrafen, und auch den Menschen nicht dafür, daß er den Wettlauf mit einem Flugzeug verliert. 4
Eines der Vergnügen bei der Lektüre dieses Aufsatzes ist es, zu sehen, wie weit Turing jeden Gedankengang verfolgt; im allgemeinen entdeckt er an einem gewissen Punkt einen scheinbaren Widerspruch und löst ihn, indem er seine Begriffe zuspitzt, auf einer tieferen analytischen Ebene. Weil er so tief in die Probleme eindringt, hat sein Aufsatz nach beinahe dreißig Jahren gewaltiger Fortschritte in der Entwicklung von
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