Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
rennen zum offenen Tor und zurück zu dem verlockenden Knochen. Von beiden Hunden läßt sich sagen, daß sie eine Problemreduktionstechnik angewandt haben; aber das Problem stellt sich in ihrem jeweiligen Geist auf verschiedene Weise dar, und das macht den ganzen Unterschied aus. Der bellende Hund sieht die Teilprobleme als 1) zum Zaun rennen, 2) durch ihn hindurchgelangen, 3) zum Knochen rennen — aber das zweite Teilproblem ist eine harte Nuß, daher das Gebell. Der andere Hund sieht die Teilprobleme als 1) zum Tor laufen, 2) durch das Tor hindurchgehen, 3) zum Knochen rennen. Man beachte, wie alles davon abhängt, wie man den „Problemraum“ darstellt — das heißt, was man als Reduktion des Problems betrachtet (Bewegung nach vorn auf das Hauptziel zu), und was man als Erweiterung des Problems ansieht (Rückwärtsbewegung weg vom Ziel).
Den Problemraum ändern
Einige Hunde versuchen, unmittelbar auf den Knochen zuzusteuern, und wenn sie am Zaun angekommen sind, rastet etwas in ihrem Gehirn ein; sie wechseln bald ihre Richtung und rennen hinüber zum Tor. Diese Hunde merken, daß das, was auf den ersten Blick die Entfernung zwischen der ursprünglichen und der erwünschten Situation vergrößert— nämlich vom Knochen weg und auf das Tor zuzurennen, sie tatsächlich verringert. Zuerst verwechseln sie physische Distanz mit Problemdistanz. Jede Bewegung weg vom Knochen scheint ex definitione schlecht. Dann aber merken sie irgendwie, daß sie ihre Auffassung davon, was sie dem Knochen „näher“ bringen wird, ändern können. In einem richtig gewählten abstrakten Raum ist die Bewegung auf das Tor hin eine Kurve, die den Hund dem Knochen näherbringt. In jedem Augenblick kommt der Hund dem Knochen „näher“ — im neuen Sinn des Worts. Die Nützlichkeit der Problemreduktion hängt also davon ab, wie man sich das Problem im Geist vorstellt. Was in einem Raum als Rückzug, kann in einem andern wie ein revolutionärer Schritt nach vorn aussehen.
Im Alltagsleben sehen wir uns fortwährend Variationen des Hund-und-Knochen-Problems gegenüber und lösen sie. Wenn ich zum Beispiel eines Nachmittags beschließe, hundert Meilen in südlicher Richtung zu fahren, mich aber in meinem Büro befinde und auf einem Fahrrad zur Arbeit gekommen bin, muß ich eine überaus große Anzahl von „Zügen“ in offensichtlich falscher Richtung machen, ehe ich tatsächlich in meinem Wagen in südlicher Richtung unterwegs bin. Ich muß mein Büro verlassen, was ein paar Meter nach Osten bedeutet, dann dem Korridor im Gebäude folgen, der zuerst nach Norden und dann nach Westen führt, dann rase ich auf meinem Rad nach Hause, das bedeutet Abzweigungen in alle Richtungen der Windrose, und erreiche meine Wohnung. Eine Reihe von kleinen Zügen bringt mich schließlich in mein Auto und ich fahre los. Ich wähle eine Route, die vielleicht Umwege nach Norden, Westen oder Osten bedingt, um sobald als möglich das Ziel, die Autobahn, zu erreichen.
Dies ist alles nicht im geringsten paradox; es geschieht sogar ohne daß wir es amüsant finden. Der Raum, in dem eine physische Umkehr als direkte Bewegung auf ein Ziel hin erfahren wird, ist so tief in meinem Geist eingebettet, daß ich sogar nicht einmal etwas Ironisches darin finde, nach Norden zu gehen. Die Straßen und Korridore usw. dienen als Kanäle, die ich ohne großes Widerstreben akzeptiere, so daß ein Teil des Wahlaktes, wie ich die Situation erfahre, bedingt, einfach die Situation zu akzeptieren, die vorgegeben ist. Aber Hunde haben angesichts von Zäunen Schwierigkeiten das zu tun, besonders wenn der Knochen so nahe liegt, ihnen ins Gesicht starrt und so lecker aussieht. Und wenn der Problemraum nur ein bißchen abstrakter ist als der physische Raum, fehlt es den Menschen oft an Einsicht, was sie tun sollten — wie den bellenden Hunden.
In einem gewissen Sinn sind alle Probleme abstrakte Spielarten des Hund-und-Knochen-Problems. Viele Probleme stellen sich nicht in einem physischen Raum, sondern in einer Art gedachtem Raum. Wenn man merkt, daß direkte Bewegung auf ein Ziel in eine Art abstrakten „Zaun“ hineinführt, sind zwei Dinge möglich: 1) der Versuch, sich vom Ziel in mehr oder weniger zufälliger Weise wegzubewegen, oder 2) einen neuen „Raum“ zu finden, in dem man das Problem neu fassen kann, und in dem kein abstrakter Zaun einen vom Ziel trennt — dann kann man in diesem neuen Raum schnurstracks ans Ziel gelangen. Die erste Methode kommt einem recht träge,
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