Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
betrachten. Dabei gewinnen wir irgendwie eine ungreifbare Art von Perspektive der Wirklichkeit. Herr Ai ist ein ulkiges Beispiel für eine Variante der Wirklichkeit: ein denkendes Wesen, unfähig, in Subjunktive zu rutschen (oder wenigstens behauptet er, dazu unfähig zu sein — aber vielleicht hat der Leser bemerkt, daß das, was er sagt, voller Contrafaktik ist). Man stelle sich vor, wie unendlich ärmer unser geistiges Leben wäre, besäßen wir nicht diese schöpferische Fähigkeit, aus der Wirklichkeit in ein behaglicheres „Was, wenn“ zu rutschen. Und vom Standpunkt der Erforschung menschlicher Denkprozesse ist dieses Verrutschen sehr interessant, denn meistens scheint es ganz ohne bewußte Führung vor sich zu gehen, was bedeutet, daß die Beobachtung, Dinge welcher Art verrutschen und welche es nicht tun, ein gutes Fenster für Einblicke in das Unbewußte abgeben.
Um einen Eindruck von der Beschaffenheit dieser mentalen Metrik zu gewinnen, kann man unter anderem „Öl in die Flammen gießen“. Das ist im Dialog geschehen, wo unsere „Fähigkeit für das Subjunktive“ angewiesen wird, sich eine Welt vorzustellen, in der sogar der Begriff der subjunktiven Wiederholung verrutscht, verglichen mit dem, was wir erwarten. Im Dialog ist die erste subjunktive Wiederholung — wo Palindromi nicht ins Aus stolpert — eine ganz normale, leicht vorstellbare Sache. Tatsächlich geht sie zurück, auf eine ganz gewöhnliche, beiläufige Bemerkung eines Menschen, der bei einem Fußballspiel neben mir saß. Aus irgendwelchen Gründen fiel sie mir auf, und ich stellte mir die Frage, was es so natürlich machte, gerade dieses Merkmal verrutschen zu lassen, nicht aber, sagen wir, das Eckballverhältnis oder den Gesamtstand des Spiels. Ausgehend von solchen Überlegungen kam ich dazu, andere, vermutlich weniger verrutschbare Eigenschaften wie etwa das Wetter, in Betracht zu ziehen (das kommt im Dialog vor), die Art des Spiels (kommt auch im Dialog vor) und dann noch verrücktere Varianten (ebenfalls im Dialog). Ich stellte jedoch fest, daß etwas, das in einer bestimmten Situation zu verrutschen völlig lächerlich wäre, in einer anderen durchaus verrutschbar war. Zum Beispiel könnte man sich spontan fragen, wie es wohlaussähe, wenn der Ball eine andere Form hätte (z. B. wenn man Basketball mit einem nur halb aufgeblasenen Ball spielte), zu anderen Zeiten käme einem das gar nicht in den Sinn (z. B. beim Ansehen eines Rugbyspiels im Fernsehen).
Schichten der Stabilität
Es schien mir damals — und scheint mir noch heute — so, daß die Verrutschbarkeit einer Eigenschaft eines Geschehnisses (oder eines Umstands) von einer Anzahl verschachtelter Zusammenhänge abhängt, innerhalb derer man das Geschehnis (oder den Umstand) wahrnimmt. Hier scheinen die der Mathematik entlehnten Ausdrücke Konstante, Parameter und Variable von Nutzen. Mathematiker, Physiker und andere führen häufig eine Rechnung aus und sagen „c ist eine Konstante, p ist ein Parameter und v ist eine Variable“. Damit wollen sie sagen, daß alle (einschließlich der „Konstante“) verändert werden können; indessen gibt es so etwas wie eine Hierarchie der Variabilität. In der Situation, die von den Symbolen repräsentiert wird, bedeutet c eine globale Bedingung, p eine weniger globale, die variieren kann, während c unverändert bleibt, und schließlich kann v frei herumrennen, während c und p festgehalten werden. Es hat wenig Sinn, sich v als feststehend vorzustellen, während c und p variieren, denn c und p fixieren den Kontext, in dem v einen Sinn hat. Man denke etwa an einen Zahnarzt, der eine Liste von Patienten hat und für jeden Patienten eine Liste der Zähne. Es ist durchaus sinnvoll (und gewinnbringend), den Patienten festzuhalten, und seine Zähne zu variieren, aber es ist völlig sinnlos, einen Zahn festzuhalten und den Patienten zu variieren. (Manchmal ist es natürlich auch sinnvoll, den Zahnarzt zu variieren ...)
Unsere innere Repräsentierung von einer Situation bauen wir Schicht um Schicht auf. Die unterste Schicht legt die tiefsten Eigenschaften des Zusammenhangs fest mitunter liegt sie so tief, daß sie überhaupt nicht mehr variiert werden kann. Zum Beispiel ist die Dreidimensionalität unserer Welt in uns so tief verwurzelt, daß die meisten von uns sich gar nicht vorstellen können, daß wir sie im Geist verrutschen lassen können. Sie ist eine konstante Konstante. Dann gibt es Schichten, die vorübergehend, aber nicht
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