Gößling, Andreas
gleichzei tig so verzweifelt an, dass er kein weiteres Wort mehr rausbrachte.
Im nächsten Moment war sie wieder wie umgewandelt. Auch das Blau ihrer Augen hörte auf, alles im Umkreis von ein paar Metern zu verbrennen. »Dann mal nix wie ausgestiegen«, sagte sie und grinste ihn an. »Du musst mir unbedingt zeigen, wo das mit den Dämonen passiert ist.«
Marian griff hinter sich, nahm eine Laterne und aus dem Picknickkorb ein Streichholzpäckchen. »Zeig ich dir gleich.« Er versuchte, ganz ruhig zu klingen, aber sein Herz hämmerte auf einmal wieder wie irre. »Gibst du mir jetzt das Foto?«
Sie zuckte mit den Schultern. Drehte sich nach hinten und fing an, umständlich in dem ganzen Kram herumzuwühlen, den sie hinter der Kutschbank aufgestapelt hatte. Sie spielte ihm Theater vor – genauso wie er ihr. Falls er nicht völlig danebenlag, aber Marian war sich sicher, dass er sich in diesem Punkt nicht täuschte.
Es war die einzige logische Erklärung für ihr total widersprüchliches Verhalten, für ihre sprunghaft wechselnden Launen. Dafür, dass ihre Augen mal brannten wie Feuer und dann wieder nicht. Dass ihre Stimme manchmal wie Rost klang – und dann wieder nicht. Und es war zugleich die einzige Erklärung, die es ihm selbst erlaubte, weiter an sie beide und ihre Liebe zu glauben.
Seine Hand zitterte so sehr, dass er das erste Streichholz zerbrach. Beim zweiten schüttelte er das Flämmchen wieder aus, bevor der Docht in der Öllampe zu glühen begann. Doch mit Versuch Nummer drei hatte er Erfolg – die Laterne ging an und erhellte das Medaillon mit dem Farbfoto drin, das Billa im gleichen Moment aus dem Chaos hinter ihnen zu Tage förderte. Es war ein altmodisches, kunstvoll gearbeitetes Schmuckstück. Herzförmig, mit verschnörkeltem Silberrahmen, und durch das Glas über dem Foto lief diagonal ein schmaler Sprung.
Wie bei dem Talmibro.
Marian nahm ihr das Medaillon aus der Hand und sah das Foto darin wortlos einige Augenblicke lang an. Er hatte es gewusst. Er wäre jede Wette eingegangen, dass es sich so und nicht anders verhielt. Und trotzdem jagte ihm ein Schauder nach dem anderen vom Nacken ab wärts, während er das Foto anschaute.
Es zeigte ein hübsches blondes Mädchen mit heller Haut und blauen Augen, ungefähr zwölf Jahre alt. Ein intensives Augenblau, aber ohne dieses irre Brennen. Ein warmes Honigblond, aber ohne den schwächsten kupfernen Schimmer.
»Ich hab’s Klotha abgeluchst«, sagte Billa. »Aus ihrem Nachttisch geangelt, als sie endlich eingeschlafen war.«
»Klotha? Wieso hatte die dein Medaillon?«
»Sie hat’s einkassiert – damals, als Jakob verschwun den ist. Von mir verlangt, dass ich ihr das Medaillon ge be – und noch ein paar andere Sachen mehr.«
»Was für Sachen denn?« Das hörte sich alles immer mehr nach Voodoo an. Nach schwarzer Magie, nach Schadens- und Versklavungszauber. »Etwa Haarsträhnen von dir und so was?«
»Egal jetzt.« Sie deutete auf das Medaillon in seiner Hand. »Du kannst es aufmachen.«
Marian drückte auf die winzige Schließe am verschnörkelten Silberrahmen und das Glasfensterchen sprang auf.
Behutsam nahm er das Bild heraus und las, was in krakeliger Handschrift auf der Rückseite geschrieben stand: »Okay, das ist Laura. Bist du jetzt zufrieden?«
Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie diese Worte offenbar gerade erst auf das Foto gekritzelt hatte, extra für ihn. »Danke«, sagte er und schaute wieder nur das Bild an. »Aber zufrieden bin ich erst, wenn du wieder das Mädchen auf deinem Foto geworden bist. Wenn wir es zusammen geschafft haben, das Hexenbiest aus dir zu vertreiben.«
Er legte das Foto ins Medaillon zurück, verschloss es sorgfältig und schob es in seine Hosentasche. Zu seinem Talmibro.
»Mann, Marian«, flüsterte Billa. Sie lehnte sich zu ihm rüber und ihre Lippen kitzelten an seinem Ohr. »Gegen uns zwei hat das Biest überhaupt keine Chance, oder?«
50
Marian erzählte ihr alles, was er in Julians Welt erlebt und erfahren hatte. Den Brief von Marthelm hatte er so gar eigens für sie eingesteckt. Er zog ihn aus seiner Jeans, faltete ihn auf und ließ Billa im Schein ihrer Laterne lesen, was sein Urgroßonkel über den Golem-Fluch und ihn selbst geschrieben hatte. Dass er, allein er die Menschheit vor der drohenden Katastrophe retten konnte. »Aber ich hab alles verpatzt«, klagte er sich an.
Er war schon drauf und dran gewesen, ihr auch das Talmibro noch mal zu zeigen, womöglich sogar in
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