Gößling, Andreas
wir keine Sekunde lang.«
Tropen-Babsi stieß einen Pfiff aus. »Mein lieber Schwan. Und bestimmt habt ihr wie wild gekifft und all so was?«
Er warf Lindas Urlaubsfreundin einen verachtungsvollen Blick zu. »Und all so was, Babsi, ganz genau. Wie hast du das nur erraten?«
Gleichzeitig überlegte er, was Billa und er alles bräuchten, um das Hexenbiest an der kurzen Leine zu halten. Ein Amulett allein würde nicht reichen – sie bräuchten zusätz lich goldene oder wenigstens silberne Ketten, die sich Bil la um den Hals und die Handgelenke schlingen musste. Alte Magierweisheit: Die Dämonen verabscheuten Edelmetalle. Dagegen hefteten sie sich mit Begeisterung an alles, was rosten oder sonst wie kaputtgehen, zerfallen, sich verwandeln konnte: Eisen, Luft, Wasser, lebendiges Fleisch. Sie mussten Haarsträhnen von Billa in die Kettchen flechten und vielleicht sogar ein paar Zähne aus ihrer Milchzahnzeit dranbinden, falls Billa die aufgehoben hat te. Möglichst viele solcher persönlichen Sachen jedenfalls, und natürlich mussten die alle aus der Zeit stammen, bevor das Biest in sie gefahren war.
»Du siehst aus, als ob du gleich umfallen würdest!«
Linda hatte bestimmt die ganze Zeit weiter auf ihn eingeredet. Marian hatte nicht das Geringste davon mitbekommen, aber dann plötzlich dieser eine Satz – mitten ins Herz. Mit einem Mal spürte er, wie total ausgepumpt er war. Wie lange hatte er eigentlich nicht mehr richtig geschlafen? Gefühlte 333 Nächte, mindestens. Mal als Marian unterwegs, mal als Julian – dagegen waren Jekyll & Hyde doch höchstens Hobby-Nachtwandler.
Marian bekam einen richtigen Gähnkrampf. Seltsame Kojotentöne kamen aus seinem Mund, den er überhaupt nicht mehr zubekam, obwohl ihm vom vielen Gähnen schon die Augen tränten. »Umfallen, yeah«, gelang es ihm endlich hervorzukeuchen. »Nix lieber als das.«
Seine Mutter und Babsi guckten ihn so erschrocken an, dass er zusätzlich einen Lachanfall bekam. Er musste gleichzeitig gähnen und grinsen, wurde von Lachen geschüttelt, während ihm die Tränen nur so aus den Augen schossen. Das ergab ein grausames Grimassenchaos, und er konnte nur hoffen, dass alle hier am Tisch wussten, weshalb ihm die Tränen übers Gesicht liefen – vom Gähnen, Ladies and Gentlemen, nur vom Gähnen.
Nicht etwa, weil Marian Hegendahl, Retter des Planeten, gerade einen kleinen Nervenzusammenbruch hinlegen würde. Gott bewahre. Oder weil sein Sweetheart von einem Hexenbiest harpuniert worden war und deshalb Moorleichen magisch durch die Luft manövrieren konn te. Nicht die Spur. Oder weil er sich vor Angst fast in die Hosen machte, wenn er daran dachte, dass sie in den al lernächsten Tagen noch mal zum Hexenhügel mussten. Überhaupt nichts dergleichen, meine Damen und Herren – er musste sich nur mal dringend für ein paar Stun den aufs Ohr legen.
Immer noch grinsend, gähnend und tränend, stand Marian auf.
»Wo gehst du hin?«, rief Linda aus.
»Na, ins Bett halt.«
»Ein schwieriges Alter«, bemerkte Babsi. »Also, als ich in der Pubertät war …«
Schon auf halbem Weg nach drinnen, fuhr Marian herum. Er ließ seine Rechte in Babsis Richtung schnellen und hätte sie mit seinem Zeigefinger fast harpuniert. »Du warst auch mal dort – in der Pubertät, meine ich?«
»Ja, klar, was denkst du denn, Junge?«
»Dann warst du das also. Das nächste Mal räumst du aber gefälligst hinter dir auf!«
Damit marschierte er davon. Hinter ihm blieb es geisterhaft still, und er stellte sich vor, wie Babsi und Linda fassungslose Blicke wechselten. Aber noch während er durch die Gaststube und in sein Zimmer hochging, war er in Gedanken wieder bei Billa. Bei dem Abwehr- und Schutzzauber, den sie anfertigen mussten, um das He xenbiest in ihr kurzzuhalten.
Nicht, dass es überhaupt noch einen Beweis gebraucht hätte, dachte er. Aber Billas Medaillon und ihre sonstigen persönlichen Sachen konnten Klotha und die anderen beiden Frauen nur aus einem Grund einkassiert haben – um Billa durch einen Unterwerfungszauber an sich zu binden. Wer Gewalt über die Seele, die Persönlichkeit eines anderen Menschen gewinnen wollte, musste sich solche privaten Dinge von ihm oder ihr verschaffen. Die Voodoopriester machten es ganz genauso: Sie bewahrten Haare, Zähne, sogar Finger- und Zehennägel ihrer Kultmitglieder in versiegelten Krügen auf. Wenn jemand in böser Absicht einen solchen Krug an sich brachte, dann konnte er die Persönlichkeit und den Willen dieser
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