Gößling, Andreas

ändern. Der Professor war zwar Marthelms Freund gewesen, aber man konnte nie wissen. Und auf einmal benahm er sich wirklich sonderbar.
    »Na ja, nur mal angenommen«, begann er. »Mal rein theoretisch angenommen, da würde so ein Hexendämon in – sagen wir – irgendein ganz normales Mädchen fah ren. Wie würde sich das auswirken – ihr Verhalten würde sich doch total ändern, oder?«
    »Rein theoretisch, sagst du?« Bußnitz machte wieder sein Pokerface. »Ich persönlich hatte zwar noch nie das zweifelhafte Vergnügen, jemandem zu begegnen, der von einem Dämon besessen war. Aber nach allem, was ich jemals über solche Vorgänge gehört und gelesen habe, würde ich sagen: Die besessene Person verändert ihr Verhalten zu hundert Prozent. Von einem Augenblick zum anderen. Das betrifft keineswegs nur ihre Stimme, ihre Sprechweise oder ihre Vorlieben – wer wirklich besessen ist, kann plötzlich auch Dinge machen, von denen er vor her nicht mal geträumt hat. Entlegene Sprachen verstehen, die er sonst kaum dem Namen nach kennt. Komplizierte Musikstücke komponieren, obwohl er normalerweise nicht mal Dur von Moll unterscheiden kann.«
    Bußnitz war aufgesprungen und ging dozierend in sei ner Steinzeithöhle auf und ab. »Ein Großteil der sogenannten Wunder«, sagte er, »lässt sich vermutlich auf Dämonismus zurückführen. Wenn Lahme plötzlich wie der gehen oder ganz gewöhnliche Leute auf einmal sich selbst oder irgendwelche tonnenschweren Gegenstände um sie herum in die Lüfte erheben können, als ob es ein Sack voll Federn wäre – dann steckt wahrscheinlich fast immer ein Dämon dahinter. Oder genauer gesagt – er steckt in der Person drin, die auf einmal diese erstaunlichen Talente an den Tag legt.«
    »Und Sie sind wirklich noch nie so jemandem begegnet?«
    Der Professor blieb vor Marian stehen und schaute auf ihn herunter. »Nein, Junge, noch nie. Auch hier und heu te übrigens nicht …« Er nahm seine Wanderung durch die Höhle wieder auf. »Von der Besessenheit unterscheidet die Wissenschaft übrigens die sogenannte Verknüpfung. Auch Harpunieren genannt – denn hierbei schießen die Dämonen sozusagen einen Energiepfeil auf ihre Opfer ab. Sie schaffen eine Verbindung, sie hauen der betreffenden Person – bildlich gesprochen – einen Angelhaken ins Fleisch. Dadurch können sie in gewisser Weise auch den Willen und das Verhalten desjenigen beeinflussen, den sie da ›harpuniert‹ haben – aber in sehr viel geringerem Ausmaß als bei echter Besessenheit.«
    Erneut blieb er vor Marian stehen und schaute zu ihm herunter. »Stell dir vor, dass du ein Auto wärst – natürlich nur rein theoretisch.« Sein Gesicht begann wieder mal vor unangebrachter Heiterkeit zu zucken. »Dann wäre dein Ich, dein bewusster Wille, sozusagen der Fah rer, der hinter dem Steuer sitzt. Wenn du von einem Dämon besessen bist, dann kickt er dich vom Fahrersitz herunter und übernimmt das Kommando. Dagegen schafft es ein Dämon, der sich mit dir verknüpft, nur bis auf deinen Beifahrersitz.«
    Er nickte mehrfach und rieb sich die Hände. »Ja, das ist ein wirklich guter Vergleich«, lobte er sich selbst. »Dem Dämon, der dich harpuniert hat, gelingt es ab und zu, dir ins Steuer zu greifen und dich zu einem Richtungswechsel zu zwingen. Aber wenn du einen einigermaßen starken Willen hast und mit dem, was der Dämon von dir verlangt, im Grunde deines Herzens nicht einverstanden bist – dann kann er bei dir auch nicht viel erreichen. Im Großen und Ganzen bist dann weiterhin du es, der Tempo und Richtung bestimmt. Übrigens dürfte dir das alles nicht ganz fremd sein. Du hast mir doch erzählt, dass du dich mit Voodoomagie auskennst?«
    Marian nickte halbherzig. Auskennen war wirklich etwas viel gesagt.
    »Na also, Junge«, sagte der Professor und schaute sehr zufrieden drein. »Dann weißt du ja auch, wie man Amulette und ähnliche Schutzzaubersachen anfertigen und an der Person anbringen muss, die von einem Dämon harpuniert worden ist. Die Grundprinzipien von Magie und Hexerei sind auf der ganzen Erde mehr oder weniger gleich.«
    »Und der Geist kann dann garantiert nicht die Kontrolle übernehmen?«
    Bußnitz schüttelte den Kopf, dass seine dünnen gelben Haarsträhnen hin und her flogen. »Auf gar keinen Fall. Aber wenn die harpunierte Person es geschickt anfängt, kann sie die Talente ihres dämonischen Beifahrers sogar für ihre eigenen Zwecke nutzen.« Er breitete die Arme aus und machte Flatterbewegungen.